Die Dokumentation der Opfer der NS-Herrschaft
in der Stadt Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont
 

4.  Die Opfer unter weiteren Verfolgtengruppen

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Habes, Heinrich

wurde am 19. Juni 1893 in Kleinenbremen geboren. Der Eisenbahner und Frührentner wohnte in Hameln, Osterplatz 14.
Heinrich Habes war schwer kriegsbeschädigt. Als er sich wiederholt abfällig über das NS-Regime äußerte, denunzierten ihn mehrere Nachbarn in einem gemeinsamen Schreiben; dabei soll nach Auskunft seiner Tochter auch Neid auf sein Haus im Spiel gewesen sein.
Nachdem er mehrfach zu Vernehmungen geladen worden war, wurde Heinrich Habes verhaftet, vermutlich Ende 1943.
Da es keinen richterlichen Haftbefehl (und keinen Prozess) gegeben hat und Habes nicht ins Hamelner Gerichtsgefängnis eingeliefert wurde, muss ihn die Hamelner Polizei sofort an die Gestapo Hannover ausgeliefert haben.
Die Gestapo verschleppte ihn über ihr Gefängnis in Ahlem oder aber auf direktem Wege in das „Arbeitserziehungslager“ Lahde bei Petershagen, ein berüchtigtes Gestapo-KZ. Heinrich Habes musste im Außenlager „Steinbruch Walter Schmidt“ bei Steinbergen arbeiten, wo ein noch brutaleres Regiment der SS geherrscht haben soll als in Lahde selbst.
Habes´ Ehefrau erhielt über seinen Aufenthaltsort zunächst keine Mitteilung und suchte vergeblich nach ihm; als sie schließlich Bescheid bekam, konnte sie ihren Mann ein einziges Mal besuchen.
Wie andere Gefangene des Lahder Außenkommandos Steinbergen von SS-Aufsehern unsäglich gequält, musste Heinrich Habes bis Anfang 1944 im Steinbruch arbeiten.
Seine letzten Tage auf dem Außenkommando schildert Wilhelm Hartmann, ein alter Bekannter aus seinem nahe gelegenen Heimatort Kleinenbremen:
„Etwa Anfang des Jahres 1944, als ich mich in der Nähe des obengenannten Steinbruches aufhielt, sah ich unter den Strafgefangenen, die in einer Kolonne von ihrer Arbeitsstelle abgeführt wurden, den mir seit etwa 50 Jahren gut bekannten, aus Kleinenbremen (mein Wohnort) stammenden Heinrich Habes, der mir zurief: „Guten Tag Wilhelm.“ Der Wachtposten hatte dieses gehört und schlug Habes erbarmungslos mit einem dicken Knüppel.
Am nächsten Tage sah ich Habes wieder in der Kolonne, als diese zur Ahrensburg, wo die Strafgefangenen untergebracht waren, zurückgeführt wurden.
Habes, der bei der Kälte – es war doch Winter – keine Socken trug, bat mich, für ihn am nächsten Tag ein paar Socken mitzubringen. Bei seiner Bitte an mich war er etwas aus der Kolonne herausgetreten und einen kurzen Moment bei mir stehengeblieben. Als der SS.-Wachposten ihn mit den Worten: „Du bist wohl verrückt geworden usw.“ ausschimpfte, gab Habes keine Widerworte und ging weiter. Der Wachtposten, der am Schluß der Kolonne ging, kam dann noch angelaufen und schlug Habes mit dem Gewehrkolben zu Boden. Mich schrie der SS.-Wachtposten mit den Worten an: „Bringen Sie die Socken für den Mann mit, kommen Sie sofort auch dahin, wo die Gefangenen sind.“
Habes habe ich trotz aller meiner Bemühungen fernerhin dann nicht mehr unter den Strafgefangenen gesehen. Wenn er noch in dem Kommando gewesen wäre, hätte ich ihn sehen müssen, weil ich immer den An- und Abmarsch der Strafgefangenen beobachtet habe.“
Geschwächt von der unmenschlichen Behandlung und zusätzlich offenbar an Tbc erkrankt, wurde Habes am 25. Februar 1944 auf das Krankenrevier des Lagers Lahde gebracht.
Dort starb Heinrich Habes am 2. März 1944 an „Herzschwäche“.

Gruppenzugehörigkeit:  Weitere Verfolgtengruppen

Jahn, Ernst

wurde am 15. März 1903 geboren. Der Frisör wohnte in Hameln, Pyrmonterstraße 29.
Ernst Jahn war als SPD-Mitglied bis 1933 offenbar an den Straßenkämpfen mit der Hamelner SA beteiligt, so dass „offene Rechnungen“ bestanden. Nach Errichtung des NS-Regimes war er wiederholt massiven Anfeindungen von SA-Leuten ausgesetzt.
In der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1935 wurde Ernst Jahn unter dem Vorwand, ein Nachbar benötige Hilfe, laut Aussage seiner Tochter von SA-Männern aus seiner Wohnung gelockt.
Am Morgen des 5. Februar wurde er tot aus der Weserschleuse geborgen. Offensichtlich hatten ihn die SA-Männer ins Wasser geworfen, vermutlich um eine „alte Rechnung“ begleichen.
Die Hamelner Deister- und Weserzeitung meldete den Fund einer Leiche bereits am 5. Februar 1935. Der Artikel endete mit dem Satz: „Die Kriminalpolizei ist bemüht, den Sachverhalt zu erforschen.“
Bereits am nächsten Tage erschien ein zweiter Bericht, der den Toten als Ernst Jahn identifizierte und in dem Satz gipfelte: „Es wird wohl ungeklärt bleiben, wie sich das Unglück zugetragen hat.“
Weder wird die Zeitung der Sache weiter nachgehen, noch wird die Hamelner Kripo ihrer Aufgabe gerecht werden und ermitteln. Bezeichnend ist, dass der Eintrag im Totenbuch des Standesamtes Hameln auf eine Meldung der Polizei Hameln zurückgeht. Dies deutet auf das Vorliegen eines Verbrechens.
Laut Eintrag im Hamelner Totenbuch ist Ernst Jahn „im Becken der Schleppzugschleuse in der Weser am fünften Februar des Jahres 1935 vormittags um zwei Uhr verstorben … und um 11 Uhr vormittags tot aufgefunden am gleichen Tage. Zuletzt war der Verstorbene lebend im 1 Uhr früh gesehen.“

Zur Erinnerung an Ernst Jahn wurden am 28. März 2014 an der Weserpromenade unweit des Ortes an dem früher das Haus Pyrmonterstraße 29 gestanden hat, ein Stolperstein verlegt. Darüber hinaus sorgten Anwohner am 15. Juli 2014 für eine Informationstafel.
Siehe die Webseite www.stolpersteine.geschichte-hameln.de

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Jonas, Helene Martha

wurde am 1. Dezember 1889 in Tündern bei Hameln geboren. Ihre Eltern waren der jüdische Viehhändler Moritz Jonas und seine Frau Dina, geborene Löwenstein.
Ihre ältere Schwester Gertrud Moos wurde nach Auschwitz deportiert. Nur ihr Bruder Erwin überlebte den NS-Völkermord.
1913 war Helene Jonas in Bodenfelde 'in Stellung'. Später lebte sie als Haushälterin im hessischen Wolfhagen.
Am 25. November 1938 zog sie nach Kassel in die Moltkestraße 10.
Am 11. April 1941 verschleppte die Gestapo Kassel Helene Jonas in das 'Arbeitserziehungslager' Breitenau, ein Gestapo´-KZ, und von dort weiter in das KZ Ravensbrück.
Vermutlich gehörte Helene Jonas zu den weiblichen Insassen, die im Rahmen der „Euthanasie“-Mordaktion „14f13“ in der „Heil- und Pflegeanstalt“ Bernburg bei Halle durch Gas ermordet wurden.
Die in der vom KZ-eigenen Standesamt Ravensbrück II ausgestelltenTodesurkunde genannten Todesdaten - gestorben in Ravensbrück am 3. Mai 1942 - sind gefälscht.

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Nega, Willy

wurde am 29. November 1900 in Helmstedt geboren. Der Heizer war verheiratet und hatte zahlreiche Kinder.
1936 wohnte die Familie in der Ohsener Straße 44 (damals Bückebergstraße). Wegen des ungesunden sanitären Zustands des Hauses bat Willy Nega die Stadtverwaltung mehrmals erfolglos um eine andere Wohnung. Umziehen musste die Familie schließlich, weil das Haus Ohsener Straße 44 dem Bau des Rüstungswerks Domag weichen musste. Spätestens 1937 lebten Negas am Unteren Hamelwehr; dort hatte die Stadt schlichte Behelfsunterkünfte errichtet.
Am 21. April 1938 nahm die Hamelner Polizei im Zuge der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ („ASR“) Willy Nega frühmorgens in seiner Wohnung fest und brachte ihn ins Gefängnis des Amtsgerichts Hameln. Von dort wurde er am 19. Mai 1938 in das KZ Buchenwald verschleppt.
Tatsächlich war Willy Nega gar nicht arbeitslos, sondern ging einer regelmäßigen Arbeit nach. Er war jedoch eine dem Regime missliebige Person.
Während Himmlers Aktion „ASR“ vom 21. bis 30. April 1938 wurden über 1500 Männer erfasst, die das NS-Regime als „arbeitsscheu“ bezeichnete (= Arbeitslose, die zweimal eine Arbeit abgelehnt oder eine solche nach kurzer Zeit aufgegeben hatten), und zunächst in das KZ Buchenwald deportiert. Im KZ gehörten sie zur großen Gruppe der – aus NS-Sicht –„Asozialen“, die in der Häftlingshierarchie ganz unten stand.
Am 7. März 1940 wurde Willy Nega in das KZ Mauthausen in Österreich weiterverschleppt; dort musste er fünf Monate lang Schwerstarbeit im Steinbruch verrichten.
Durch die mörderischen Arbeitsbedingungen erkrankt und geschwächt, wurde Willy Nega am 14. August in das KZ Dachau verlegt.
Willy Nega starb vier Monate später, kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember 1940 an einer „Lungenentzündung“, einer Folgeerscheinung der unmenschlichen Behandlung.
Seine Urne wurde von Dachau nach Hameln überführt und am 15. Februar 1941 auf dem Friedhof Deisterstraße beigesetzt. Die Grabstelle wurde 1979 eingeebnet.
Willy Nega wurde, wie alle im KZ umgekommenen – aus NS-Sicht – „Asozialen“, staatlicherseits nie als NS-Opfer anerkannt, die Familie erhielt somit keinerlei Anerkennung oder Entschädigung.
Im September 2018 wurde für Willy Nega in der Ohsener Straße unweit der Ruthenstraße ein Stolperstein verlegt.

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Saile, Ingrid

wurde 28. Juli 1939 in Hannover geboren. Die Mutter starb noch im Wochenbett. Zusammen mit seiner Stiefmutter, einer Schwester der Mutter, und der Großmutter wurde das Mädchen nach Benstorf im Landkreis Hameln-Pyrmont evakuiert – vermutlich 1943 nach den verheerenden Luftangriffen auf Hannover – und wohnte in Haus Nr. 72.
Da ein Gutachten des Gesundheitsamtes Hameln eine Einlieferung wegen „hochgradigen Schwachsinns“ empfahl, brachten Großmutter und Stiefmutter das Kind am 8. September 1944 in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Diese stellte die Diagnose „Idiotie“ und „Blindheit“, verursacht wohl infolge einer schweren Zangengeburt.
In der „Kinderfachabteilung“ der Anstalt starb Ingrid am 18. September 1944, angeblich an „akuter Gastroenteritis“ (Magen-Darm-Entzündung, Brechdurchfall).
Nicht auszuschließen ist, dass das Mädchen zu den über 300 Kindern gehörte, die die Lüneburger Anstalt im Rahmen der Kinder-„Euthanasie“ als „lebensunwert“ durch die Gabe des Schlafmittels Luminol getötet hat. Wahrscheinlich aber ist Ingrid zu den 100 Kindern zu zählen, die infolge von Mangel- oder Fehlversorgung umkamen.

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