Der Verein

Der Verein stellt sich vor

 
Referate anlässlich der öffentlichen Präsentation des Vereins
am 14. Juni 2010 im Haus der Kirche, Hameln:
 

A. Bernhard Gelderblom, Was will der Verein?
B. Dagmar Köhler, Ortsbilder – Verluste und Gefährdungen
C. Joachim Schween, Verluste und Gefährdungen am Beispiel des Ostertorwalls
D. Bernhard Gelderblom, Ein Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus in der Region
E. Mario Keller-Holte, Perspektiven der NS-Forschung in Hameln
F. Wilfried Altkrüger, Die Karriere des Emil Busching in der Stadt Hameln 1933-1963
G. Bernhard Gelderblom, Die Bedeutung des NS-Kultortes Bückeberg
H. Martin Hellmold und Edward Menking, Kunst im öffentlichen Raum

 

A. Bernhard Gelderblom, Was will der „Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln“?

Was will der „Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln“? Den Gründungsmitgliedern geht es um die Kultur und Pflege der Erinnerung in unserer Stadt und in unserer Region, also im Wesentlichen dem Landkreis.

Der Name des Vereins deutet zwei inhaltliche Schwerpunkte an, Kultur- und Zeitgeschichte. Ich beginne mit der Zeitgeschichte, der Geschichte im letzten, im 20. Jahrhundert.

Als ich mal jung war, „vor 68“, sah diese Kultur der Erinnerung ganz anders aus, eigentlich gab es sie nicht. Den Menschen wurde das Thema Nationalsozialismus als schicksalhaftes Menetekel deutscher Geschichte nahe gebracht. Man näherte sich der Vergangenheit mit dem Ziel, sie zu „bewältigen“.

Mit einer neuen, im demokratischen Deutschland groß gewordenen Generation hat sich in den letzten Jahrzehnten die bundesdeutsche Gesellschaft in Forschung und Lehre, in Publizistik und zivilbürgerlichem Handeln des Themas Nationalsozialismus angenommen, es sich in oft heftiger Auseinandersetzung angeeignet und bearbeitet, und zwar nicht mit dem Ziel es zu „bewältigen“, sondern mit dem Bedürfnis zu verstehen.

Inzwischen wurden neue Aktenbestände erschlossen, hat sich unser Wissen um ein Vielfaches erweitert, sind wir mit dem Verschwinden der Zeitzeugen konfrontiert, ist erneut eine neue, noch unbefangenere Generation am Prozess der Erinnerung beteiligt, haben sich manche Schwerpunkte des Interesses an der Vergangenheit verlagert – doch das Verstehen, das Begreifen, was damals in diesem deutschen Volk abgelaufen ist, die Frage nach dem Warum, wer wie gehandelt hat, wurde mit der Anhäufung und intellektuellen Bearbeitung von Wissen nicht einfacher. Im Gegenteil: das Verstehen wurde immer komplizierter.

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Hannah Arendt formulierte in den 1960er Jahren den Ausgangspunkt ihrer lebenslangen Arbeit folgendermaßen:

„Wir ... haben in den 1930er und 1940er Jahren den totalen Zusammenbruch aller geltenden moralischen Normen im öffentlichen und privaten Leben miterlebt.“[1]

„Da ist irgendetwas passiert, mit dem wir alle nicht fertig werden.“[2]

In der Zeit ihrer Generation, der Beteiligten, ist etwas geschehen, das die Fähigkeiten dieser Generation, es zu bewältigen, gesprengt hat. Das gilt – so denke ich – kaum weniger für unsere Generation.

Der Zeithistoriker Norbert Frei schreibt im Jahre 2005:

„Eine angemessene – und das heißt nicht zuletzt auf sich verändernde Fragen Auskunft gebende – Vergegenwärtigung der nationalsozialistischen Vergangenheit bleibt auch im 21. Jahrhundert politisch-moralisches Gebot und intellektuelle Herausforderung.“

Und er betont:

„Nötig allerdings ist dazu Wissen, nicht nur Bereitschaft zur Erinnerung.“[3]

Die Bereitschaft zur Erinnerung meint nicht, in hehren Worten zu mahnen, natürlich müsse Vergangenheit aufgearbeitet werden; sie meint, sich konkret mit der Vergangenheit seiner nahen Umwelt auseinander zu setzen, sich als Person, als Bürgervertretung, als Stadt seiner Vergangenheit zu nähern. Das ist nicht einfach, denn Bindungen aller Art sind mit der Vergangenheit von Heimat gegeben.

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Wenn es um die NS-Geschichte der Stadt, des Betriebes, der Institution geht, wird die Zurückhaltung groß, um es milde zu formulieren. Dann hat man nämlich den Volks- und Parteigenossen der NS-Zeit nicht als entferntes Wesen vor Augen, sondern als konkrete Gestalt, die am Ort gelebt und gehandelt hat, als Täter und als Zuschauer und als Opfer, die Nachbarn und Mitbürger waren, aber aus der sog. Volksgemeinschaft eliminiert wurden.

Und wenn diese Nähe erst einmal hergestellt ist, dann betritt man ein intensiv zu bearbeitendes Feld der Forschung und der politischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Dann steht nicht mehr das ferne, monströse, unfassbare Verbrechen allein im Vordergrund, dann wird der Alltag von Gewalt und Denunziation, Feigheit und Mut, Ducken und Widerspruch thematisiert.

Und wenn man dieses Thema zu fassen hat, dann kann man nicht 1933 anfangen und 1945 aufhören, dann muss man den Weg der Stadt und der Region in die nationalsozialistische Herrschaft erkunden, die Zerschlagung der republikanisch-demokratischen Ordnung und der Arbeiterbewegung hier vor Ort.

Mit dem 1913 eingeweihten Goltz-Haus in der Bennigsenstraße – Sitz des Ortsgruppe des rechtsnationalen „Jungdeutschlandbunds“ – meinen Wilfried Altkrüger und ich einen wichtigen Ort zur Verbreitung undemokratischen Gedankenguts in Hameln gefunden zu haben, der sich erklärtermaßen zum Ziel gesetzt hat,

„die Jungen fernzuhalten jener verhetzenden und zersetzenden Tätigkeit sozialdemokratischer Wähler, die alles, was lieb und wert ist, in den Schmutz zu zerren suchen, und unter deren Einfluss Vaterlandsliebe und Gefühl für echtes Heldentum verloren geht.“

Dann muss man auch die Frage stellen dürfen, ob und wenn wie, die Menschen in Hameln, aus ihrer sog. „Volksgemeinschaft“ herausgekommen sind. Viele Täter des Dritten Reiches wurden – was typisch ist für die gesamte Bundesrepublik – nicht ausgestoßen, nicht verfolgt und verurteilt, sondern toleriert, respektiert, in ihren Positionen belassen oder wieder zugelassen und bei ihren Karrieren gefördert.

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Hameln war darüber hinaus in den Nachkriegsjahrzehnten ein wichtiger Knotenpunkt im Netzwerk vormaliger Nationalsozialisten und neuer Rechtsradikaler; hier gründeten sich die Deutschen Unitarier, war der Soltsienverlag angesiedelt, gab es mehrere HIAG-Treffen, fand die Gründung der SRP, einer Nachfolgeorganisation der NSDAP, statt.

Viele Städte in der Umgebung haben inzwischen auch die Seite der NS-Täter untersucht, Hildesheim und Hannover, aber auch kleinere wie Detmold, und zuletzt auch Bückeburg, Stadthagen und Rinteln unter dem Titel „Schaumburger Nationalsozialisten, Täter, Komplizen, Profiteure.“[4]

Es ist die größte Schwäche der Hamelner Erinnerungskultur, dass auf diesem Gebiet nur kleine Ansätze vorliegen, aber keine systematische Erforschung, für den Landkreis nicht einmal Ansätze.

Die Gewalt der Nationalsozialisten hat nicht nur Menschen, Zusammenleben und Gesellschaft vernichtet, sondern auch Werte gesprengt, die zur Sinnstiftung einer Gesellschaft notwendig sind und die es ermöglichen, die Verbrechen zu beurteilen.

Die kontinuierliche Erforschung und Debatte über die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten ist Teil dieser Sinnstiftung. Wir brauchen diese Erinnerungsarbeit, um uns als Gesellschaft besser und tiefer zu verstehen und um uns in unserer Stadt beheimatet zu fühlen.

Die Vereinsgründung ist auch deswegen nötig, um Hameln in das gut entwickelte niedersächsische Netzwerk der Erinnerungsarbeit einzubinden, wie es sich eindrucksvoll in dem von der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten herausgegebenen Heft „Geschichte bewusst machen“ niederschlägt.

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Ich komme zum zweiten Schwerpunkt des Vereins für regionale Kultur- und Zeitgeschichte, der heimischen Kulturgeschichte.

Auch hier geht es – wenn auch unter anderem Vorzeichen – um Beschädigungen und Zerstörungen, Beschädigungen und Zerstörungen, die wir zulassen, wenn wir Städte und Ortsbilder kurzatmigen Moden und vermeintlichen Zwängen unterwerfen.

Da walten Moden und vermeintliche Zwänge unterschiedlicher Art.

Lange war es das Argument des Verkehrs.

Ein Beispiel ist der Abriss des schwer beschädigten mittelalterlichen Rathauses am Pferdemarkt 1946, ein anderes die völlige Abholzung des von den Hamelnern so geliebten mit vier Reihen von Linden bestandenen Ostertorwalles und sein Ausbau zu einer vierspurigen Schnellstraße 1955.

Immer war es der Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit.

Nach der Errichtung der Kaufhäuser C&A und Hertie in den 1970er Jahren ist es jüngst der Bau der „Stadtgalerie“ – ein Großprojekt mit maßstabsprengenden Dimensionen in der Altstadt mit ihrer historischen, kleinteiligen Struktur aus engen Straßen und zahlreichen denkmalgeschützten Fachwerkhäusern.

Mit dem Bau der „Stadtgalerie“ hat man den Fehler, der mit dem Hertie-Kaufhausbau gemacht wurde, nicht nur nicht korrigiert, sondern durch das noch umfangreichere Gebäude noch vergrößert. Dafür hat man einen historischen Straßenzug preisgegeben und überbaut und ein Element des wertvollsten, weil ältesten historischen Dokuments der Stadt zerstört: den Grundriss. Ganz nach innen gewandt, nach außen aber geschlossen und abweisend, bringt das Einkaufszentrum eine für die Altstadt völlig unverträgliche bauliche Form ein.

In jüngerer Zeit sind es das Stadt-Marketing und der Event-Tourismus.

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Das nach dem Münster bedeutendste Bauwerk der Stadt, das Hochzeitshaus, wurde zum Ort der „Erlebniswelt Renaissance“. Der Rat sah die Chance, die touristische Attraktivität der Stadt entscheidend zu steigern und setzte sich, weil Fördergelder lockten, unter immensen Zeitdruck.

In der „Erlebniswelt“, die den Gast mit einer rein virtuellen Welt konfrontierte, wurde Kultur konfektioniert und banalisiert und Touristen für eine schnelle Befriedigung dienstbar gemacht. Sie ignorierte das durchaus vorhandene Bedürfnis, Geschichte zu erleben, vor allem aber das Pfund, mit dem man auch marketingmäßig eigentlich hätte wuchern können, die konkreten Bauten der Weserrenaissance. In keiner Weise diente sie – und das war ihr größter Fehler – dem Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt nach Identifikation mit ihrer eigenen Geschichte.

Schmerzen bereitet der Gedanke an das für die „Erlebniswelt“ wie eine Gans ausgenommene Hochzeitshaus selbst, dessen von Hamelner Künstlern in den frühen 1930er Jahren gestaltete großartige Treppenhaus durch den Totalumbau verloren ist. Die negativen Folgen des Totalumbaus sind auch durch eine neue Nutzung nicht zu tilgen.

 

Die Mitglieder des Vereins sehen Aufgaben deswegen in den folgenden kulturgeschichtlichen Bereichen:


[1] Hannah Arendt, Über das Böse, München 2006, S. 14

[2] Dies., Ich will verstehen, München 1996, S. 60

[3] Norbert Frei, 1945 und Wir. Die Gegenwart der Vergangenheit, in Ders., 1945 und Wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen, München 2005, S. 22

[4] Hrsg. von Frank Werner, Bielefeld 2009

 
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B. Dagmar Köhler, Ortsbilder – Verluste und Gefährdungen

Ortsbilder – mit diesem Oberbegriff ist zunächst einmal das bauliche Erscheinungsbild von Hameln und den umliegenden Dörfern gemeint. Aus der Fülle der daraus resultierenden Themen können hier nur einige Bereiche, mit denen wir uns näher beschäftigen wollen, angerissen werden.

Sicherlich die größten Veränderungen im Stadtbild brachte die Altstadtsanierung, die 1992 nach mehr als zwei Jahrzehnten abgeschlossen wurde. Die Folge der anfänglichen Flächensanierung waren unzählige Gebäudeabbrüche vor allem im Bereich Thietorstraße / Stubenstraße, eine völlige Entkernung aller Innenhöfe und eine Veränderung des Stadtgrundrisses durch den Neubau der Straße Kopmannshof. Erst Mitte der 1970er Jahre fand ein Umdenken statt, so dass vor allem im Bereich der reinen Wohnbebauung an der Großen Hofstraße und der Alten Marktstraße das alte Stadtbild erhalten geblieben ist.

Auch nach dem Abschluss der Sanierung ist es in den letzten zehn Jahren zu schwerwiegenden Eingriffen inner- und außerhalb der Altstadt gekommen. An erster Stelle sind Veränderungen zu nennen, die ganze Stadtquartiere betreffen, z. B. der Bau des ECE, der bis heute kontrovers diskutiert wird. Am Pferdemarkt wurden zwei Gebäude für den Kolle-Neubau abgebrochen, das Haus der Kirche wurde neu errichtet und schließlich wurde das Hochzeitshaus total entkernt. Der Krankenhausbau an der Weser mit seinen Zufahrtswegen veränderte das Gesicht der Invalidenstraße, musste doch ein Gebäude an der Invalidenstraße / Ecke Gröningerstraße einer Parkpalette weichen. Auch viele einzelne Gebäude wurden abgerissen, wie z. B. das Gebäude an der Papenstraße / Ecke Wendenstraße, von dem man lediglich die Fassade erhalten hat, oder Fachwerkhäuser wurden durch Neo-Fachwerk ersetzt (Fischpfortenstraße).

Langfristig plant der Verein eine Dokumentation aller in jüngerer Zeit abgebrochenen Gebäude, aber auch aller Gebäude, die durch ihren schlechten Erhaltungszustand oder durch geplante Baumaßnahmen gefährdet sind.

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Zu den Persönlichkeiten, die das Hamelner Stadtbild über Jahrzehnte prägten, gehört Stadtbaurat Schäfer, der von 1922-1953 tätig war und sowohl für die Aufstellung der Bebauungspläne als auch für die Baugestalt einzelner Häuser zuständig war. Wilhelm Vollmer war einer der wenigen Architekten, die eine eigene Handschrift entwickelt haben. Viele Arbeiten der beiden wurden bereits zerstört oder stark verändert, so der Innenausbau des Hochzeitshauses und des Grüner Reiters (Stadtsparkasse in der Osterstraße).

Der Künstler Rudolf Riege ist nicht nur durch zahlreiche Illustrationen im „Klütkalender“ bekannt geworden, sondern auch durch die jetzt entfernten Glasbilder im Hochzeitshaus und im ehemaligen Gebäude der AOK in der Zentralstraße. Für die drei genannten Personen fehlen Monographien und eine Dokumentation ihrer Werke.

Indem wir uns mit der Vergangenheit befassen, wollen wir ein Bewusstsein für das (noch) Vorhandene schaffen und die gegenwärtigen Veränderungen und Planungen kritisch begleiten. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Grundschule Afferde, von der wahrscheinlich die wenigsten wussten, dass es ein Bau des bedeutenden hannoverschen Architekten Oesterlen ist (der von ihm gebaute Plenarsaal in Hannover ist jetzt zum Abbruch freigegeben worden).

Durch einschneidende Umbaupläne ist das Schulgebäude kürzlich ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Sie sind jetzt durch die Intervention des Ortsrates, des Schulleiters und nicht zuletzt durch die Berichterstattung in der örtlichen Presse ad acta gelegt worden.

 
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C. Joachim Schween, Verluste und Gefährdungen am Beispiel des Ostertorwalls

Ein Stadtraum, der uns besondere Sorge bereitet, ist der Gürtel der Wallstraßen, der die Altstadt umschließt und vor allem durch gründerzeitliche Villen- und Mietshausarchitektur gekennzeichnet ist. Exemplarisch soll das Augenmerk auf den Ostertorwall und speziell auf den Abschnitt zwischen Deisterallee und Bismarckstraße gerichtet werden. Hier hat es in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von Abbrüchen gegeben, die nicht nur einen schmerzlichen Verlust wertvoller Bausubstanz bedeuteten, sondern jedes Mal neue sichtbare Lücken zwischen den Häusern hinterließen.

Wie sehr das Erscheinungsbild des Ostertorwalls gelitten hat, soll eine kleine Auswahl unterschiedlich alter Ansichten verdeutlichen. Ein Foto vom Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt die der Altstadt abgewandte Straßenseite des Ostertorwalls nach Nordosten mit Blick Richtung Deisterallee.

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Der Ostertorwall um 1900 (Quelle: G. Fließ und A. Ostermeyer, Hameln
damals. Die Rattenfängerstadt um die Jahrhundertwende in 137 Bildern.
Hameln 1977, S. 122)
 
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Der Ostertorwall im Jahre 2009 (Foto: Joachim Schween)

Hinter den Bäumen einer Lindenallee hervorschauend sehen wir von links nach rechts das 1899 errichtete Krückeberg’sche Haus an der Ecke zur Deisterallee sowie die Giebel zweier Jugendstilhäuser aus dem Jahr 1904. Daneben erhebt sich der Turm der 1866 im Stil der Neugotik errichteten katholischen Kirche. Am rechten Bildrand ist ein prächtiges Gebäude aus der Gründerzeit zu erkennen. Es ist das 1889-1990 in den Formen der Neorenaissance an der Ecke Ostertorwall / Wilhelmstraße errichtete Wohn- und Geschäftshaus des jüdischen Pferdehändlers Salomon Goldstein und seiner Familie.

Eine erste einschneidende Veränderung des Straßenbildes, das – wie der überwiegende Teil der Hamelner Altstadt – ohne Schäden den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte, bedeutete 1955 die Opferung der Lindenallee des Ostertorwalls zugunsten des vierspurigen Ausbaus der Fahrbahn. 1965 wurde der prächtige Neorenaissance-Schmuck des ehemaligen Goldstein-Hauses (seit 1934 nicht mehr im Besitz der Goldsteins) im Zuge einer Sanierung von der Fassade abgeschlagen und die markante Spitze des Eckturmes gekappt. 1985/86 schließlich kam es zum Abbruch der katholischen Kirche.

Die folgenden 24 Jahre änderte sich das Gesicht des Ostertorwalls im hier betrachteten Abschnitt nicht. Im Juni 2009 war das Goldstein-Haus jedoch plötzlich von einem Bauzaun umgeben, Bagger rückten an, und nach wenigen Tagen war das zuletzt von vielen Hamelnern nur noch „Zigeunerhaus“ genannte Gebäude verschwunden. An seiner Stelle befindet sich heute ein öffentlicher Parkplatz.

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Mit dem Haus ging nicht nur das letzte sichtbare Zeugnis der von den Nationalsozialisten aus Hameln vertriebenen Familie Goldstein verloren, sondern auch ein ungeahnt schönes Treppenhaus, das bis zum Schluss mit zahllosen grünen Jugendstil-Fliesen geschmückt war.

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Die Gebäude der ehemaligen Feuerwache im Jahre 2010
(Foto: Dagmar Köhler)

Aufgeschreckt durch diese Entwicklung werden wir aufmerksam verfolgen, in welche Richtung sich die Pläne zur zukünftigen Nutzung und Gestalt der ehemaligen Feuerwache (1924 und 1936) am Ostertorwall entwickeln, die mit dem charakteristischen Leitstellenhäuschen (1960er/70er Jahre) und der benachbarten Banneitz’schen Villa (1900) ein wichtiges Ensemble am Rande der Altstadt bildet.

 
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D. Bernhard Gelderblom, Ein Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus in der Region

Das sog. Polengrab liegt am Rand des Dorfes Holtensen am Lengeberg. Über Jahrzehnte wurde es gepflegt, und nur die Holtenser wussten, wer es pflegte. Man munkelte, der Mann, der dort begraben sei, habe ein Verhältnis mit einer deutschen Frau gehabt und sei deswegen erschossen worden. Diese Frau und später ihre Tochter pflege sein Grab bis heute.

Nach 2000 verwilderte das Grab. In dieser Zeit gelang es Mario Keller-Holte und Bernhard Gelderblom, die Person, die hier liegt, zu identifizieren. Es handelt sich um den russischen Lehrer Alexander Nepomnjaschi, einen Lehrer, der als Kriegsgefangener auf dem Hof eines Holtenser Bauern Zwangsarbeit leisten musste. Die Recherchen ergaben, dass deutsche Soldaten, die für die Sprengung der Weserbrücken abkommandiert waren, ihn erschossen, weil er über die glorreichen Aussichten der Deutschen auf den „Endsieg“ gelästert hatte.

Seit 2005 haben Holtenser Bürger die Pflege des Grabes übernommen und es neu gestaltet. So bleibt dem Dorf Holtensen dieses Grab erhalten.

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Vor etwa zwei Jahren nahm der Belgier Eric De Pauw Kontakt zu Bernhard Gelderblom auf. Er suchte den Todesort seines Vaters, der wegen Widerstands gegen die deutsche Besatzung festgenommen und zu Zuchthaus verurteilt worden war. Dass er im Hamelner Zuchthaus gesessen und im April 1945 auf den Todesmarsch gekommen war, der vom Hamelner Zuchthausaußenlager Holzen nach Bützow führte, und dass er während dieses elenden Marsches in Bad Liebenwerda – ganz im Osten Deutschlands, zwischen Berlin und Dresden – gestorben sein sollte, wusste Eric De Pauw aus dem Brief eines Mithäftlings.

In Bad Liebenwerda war weder von diesem Todesmarsch noch speziell vom Tod De Pauws etwas bekannt. Durch wiederholtes und hartnäckiges Nachfragen fand die engagierte Stadtarchivarin am Ende doch ein Blatt, auf dem die Namen von insgesamt fünf in Bad Liebenwerda verstorbenen Häftlingen aus dem Zuchthaus Hameln vermerkt waren.

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Die Stadt Bad Liebenwerda war kurzfristig bereit, einen Stein zusetzen und eine kleine Feierstunde zu halten. Eric De Pauw hat dort formuliert:

„Heute habe ich meinen Vater begraben.“

Seine Familie hatte den Tod des Vaters und die Tatsache, dass er unbekannt verstorben war, nie verwunden.

 

Die Mitglieder der Generation der Opfer sind inzwischen zumeist verstorben. Aber das, was sie uns an Erinnerungen hinterließen und was ihre Kinder und Kinderkinder an Leid mit sich tragen, lehrt uns, dass die Verbrechen des Dritten Reiches nicht fern, nicht vergangen sind. Zahlreiche Kontakte vor allem zu ausländischen Angehörigen von Zuchthausopfern zeigen das.

Die Kinder und Kindeskinder der Opfer des Zuchthauses suchen den Ort des Leidens ihrer Väter und Großväter, gehen den Weg der beiden Todesmärsche vom Außenlager Holzen nach Bützow und von Hameln nach Holzen nach und suchen verzweifelt und in aller Regel vergebens nach Grabstellen.

 

Bisher können wir die folgenden Opfergruppen unterscheiden und gehen von den Dimensionen aus:

 

Juden, Männer, Frauen und Kinder – etwa 100 Menschen aus Hameln und weitere 94 aus dem Landkreis

Ausländische Zwangsarbeiter, Männer, Frauen und Kinder – gut 300 Menschen (bei einer sehr hohen Dunkelziffer)

Jüngst war es z. B. möglich, die Namen von über 50 ausländischen Säuglingen und Kleinkindern zu ermitteln, die in den Jahren 1943-1946 in der Hannoverschen Kinderheilanstalt Nienstedt (bei Bad Münder) starben. Deren Schicksal war völlig vergessen worden.

Zuchthaushäftlinge, darunter „Politische“, Homosexuelle, Juden, „Rundfunkverbrecher“, Kriminelle, aus Deutschland und dem Ausland – etwa 400, dazu eine bei 200 Männern liegende Zahl von Toten, welche die beiden Todesmärsche forderten.

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Platte für die Opfer des Zuchthauses Hameln, am
Weserufer im Bereich des heutigen Hotels
Stadt Hameln (Foto: Bernhard Gelderblom)

Bei den Zuchthausinsassen ist die Dunkelziffer noch größer als bei den Zwangsarbeitern. Wir wissen inzwischen durch die Forschungen von Mario Keller-Holte, dass sehr viele Männer aus dem Zuchthaus Hameln nach Abbüßen ihrer Strafe in KZs verschleppt wurden, wo sie zu allermeist der Tod erwartete.

Andere Opfergruppen, insbesondere Euthanasie-Opfer, ließen sich bisher für Hameln-Pyrmont nicht nachweisen.

 

In einer Gesellschaft, die den Opfern die Anteilnahme verweigert, werden ihre Leiden fortgesetzt. Schuld, die nicht bearbeitet und überwunden wird, wirkt in die Gesellschaft hinein. Verdrängung und Verleugnung aus dem öffentlichen Bewusstsein bürden den Opfern und ihren Angehörigen die emotionalen Lasten der Tat auf und verweigern ihnen Anteilnahme, Mitgefühl und Solidarität. Gewalt wird immer erinnert. Wird sie nicht bearbeitet und ihre Logik gebrochen, wirkt sie weiter, ohne dass ihr Ausgangspunkt erkennbar bleibt.

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Wir brauchen Erinnerungsarbeit, um unsere Wahrnehmung, unser Mitgefühl, unsere Anteilnahme und unsere Solidarität zu stärken.

Trauer ist ein wichtiges soziales Element jeder Gesellschaft. Menschen trauern gemeinschaftlich, sie verarbeiten den Verlust des Anderen gemeinsam, stärken sich dadurch gegenseitig und entwickeln wieder Zuversicht. Wir haben so viele Menschen verloren. Vielleicht brauchen die Toten uns nicht mehr. Sicher ist aber, wir brauchen sie, weil sie zu uns und unserer Geschichte gehören.

 

Wir möchten deshalb ein Gedenkbuch der Opfer des Nationalsozialismus in der Region erstellen, das in der zweiten Jahreshälfte 2012 erscheinen wird.

 
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E. Mario Keller-Holte, Perspektiven der NS-Forschung in Hameln

Mein Vorredner Bernd Gelderblom hat bereits gesagt, dass in den vergangenen Jahren – vor allem durch ihn selbst – die Opfergruppen der NS-Zeit in Hameln erforscht und gewürdigt worden sind, wobei die Beschäftigung mit ihnen noch keineswegs abgeschlossen ist. Insbesondere steht zu den Häftlingen im Zuchthaus und im Gefängnis des Amtsgerichts Hameln, zu denen u.a. auch Hunderte politischer Gegner der NS-Herrschaft aus der Region Hameln gehören, eine umfassende Darstellung noch aus.

Die Beschäftigung mit den Opfern hat uns vor Augen geführt, dass über die „andere Seite“ in Hameln, die der Täter, ihrer Helfer und Sympathisanten, relativ wenig bekannt ist, also über die führenden NS-Parteiaktivisten in Hameln – so die SA- und SS-Männer – und auch über die willigen Helfer in den örtlichen Verbänden und Verwaltungen, vor allem in der Stadtverwaltung.

Um diesem Mangel abzuhelfen, wären auf der Grundlage detaillierter Quellenforschung Biographien und Karrieren zu untersuchen und darzustellen, natürlich immer im Kontext des NS-Systems. Mein Vorredner hat bereits angemerkt, dass man da beispielsweise im benachbarten Schaumburgischen weiter ist. Bei den meisten Hamelner Tätern und ihren Helfern, die uns bekannt sind, erschöpft sich unser Wissen in der Kenntnis ihres Namens und ihrer Funktion, denn, wie gesagt, Erforschung fand bis bislang nur ansatzweise statt.

Um dem Thema ein Gesicht zu geben, ist hier ein Bild des Hamelner SA-Führers Richard Kalusche zu sehen. Kalusche ist ein lokaler Täter der ersten Stunde; Parteimitglied seit 1925, wütete er mit seinen Leuten seit 1929 (Gründung der Hamelner SA) auf Hamelns Straßen, bald so schlimm, dass die 150-300 Mann starke Formation als „Mördersturm“ bezeichnet wurde.

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Während Kalusche gleichsam die skrupellose Hand des Hamelner Nationalsozialismus war, die sich dreckig machte, war Heinrich Schmidt, den das nächste Bild zeigt, der politische Kopf, der die NS-Partei in Hameln in den Jahren vor 1933 voranbrachte. Schmidt war gebürtiger Salzhemmendorfer und kam 1928 als hauptamtlicher Kader von Hildesheim nach Hameln, um in Stadt und Land die Parteileitung zu übernehmen. Ihm gelang es, die Mitgliederzahl in Hameln von anfangs kaum 20 auf 200 Ende 1931 zu steigern. Seit 1929 gehörte er zu den ersten beiden Nazis im städtischen Rat. Noch vor 1933 zurück in Hildesheim, spielte er hier die führende Rolle bei der örtlichen Machtübernahme durch die Nazis. Als Bürgermeister für die Polizei zuständig, war er der Hauptverantwortliche für Verfolgung und Verschleppung politischer Gegner.

Schmidt erhielt nach 1945 für seine Untaten in Hildesheim eine Zuchthaus-Strafe, Kalusche hingegen kam ungestraft davon. Nicht nur das, unbehelligt konnte er, der Täter, in Hameln am Kastanienwall seinen Wohnsitz im Haus eines toten Opfers, des jüdischen Arztes Kratzenstein, nehmen.

Ich sprach davon, dass relativ wenig über NS-Täter bekannt ist, was besagen soll, dass sich in letzter Zeit denn doch ein wenig bewegt hat, indem die Kollegen Gelderblom und Altkrüger zu maßgeblichen Größen der „Hamelner Täterszene“ Nachforschungen angestellt haben und weiterhin anstellen (übrigens auch zu personellen Kontinuitäten nach 1945).

Gelderblom etwa über den städtischen Vermessungsrat Gerhard Reiche und den Stadtrat Hans Krüger, die beide mit der Organisierung der Ausraubung und Deportation der Juden aus Hameln befasst waren; Altkrüger ist auf den Spuren des lokalen NS-Haupttäters Emil Busching, der als Bürgermeister und Polizeichef ebenfalls ein hohen Maß an Verantwortung für die lokale Judenverfolgung trug.

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Die Einschätzung, dass ein Forschungs- und Kenntnismangel besteht, betrifft natürlich nicht allein Personen, sondern auch die lokale NSDAP und ihre Organisationen insgesamt; so wissen wir fast nichts über die Aktivitäten der örtlichen SS. Dass sie z.B. in der Pogromnacht 1938 aktiv war, zeigt die Aussage eines SS-Mannes, er und seine Kameraden hätten einen „Mordsspaß“ gehabt.

Was ist nun – neben der sorgfältigen Erkundung der Quellenlage (insbesondere im Bundesarchiv Berlin mit seinen relativ großen Beständen an NS-Akten) – zu tun, um dem Mangel abzuhelfen? Zunächst erscheint es sinnvoll, alle greifbaren Personendaten und Fakten zusammenzutragen, um einen besseren Überblick über das Thema und mögliche Forschungsschwerpunkte zu gewinnen. Die Arbeit wird in nächster Zeit deshalb darin bestehen, drei Listen oder Dokumentationen zu erstellen und diese laufend fortzuschreiben, als da sind:

  1. Eine Aufstellung aller NS-Funktionäre und Aktivisten in Stadt und Landkreis

    Bis jetzt ließen sich knapp 100 Personen aus dem Kreis und über 100 aus der Stadt erfassen.
     
  2. Eine detaillierte „Chronik der Ereignisse“ ab1925 (Gründung der Hamelner NSDAP)

    Das heißt eine zunächst zeitlich geordnete Zusammenstellung aller greifbaren Fakten, der bald eine sachlich geordnete Zusammenstellung folgen sollte. Dazu gehört z.B. die detaillierte Auflistung des SA-Straßenterrors vor 1933 und späterer gewaltsamer Aktivitäten, etwa durch die lokale SS.

    Dieser Punkt sollte sinnvollerweise ergänzt werden durch eine Aufstellung der nationalistischen bis rechtsradikalen Gruppierungen, die in den Jahrzehnten vor 1933 in Hameln aktiv waren.
     
  3. Eine Auflistung von Orten der NS-Organisationen und der Verfolgung

    Bis jetzt sind rd. 40 zu dokumentieren; dazu gehören beispielweise die „Hitlerhäuser“ in der Fischpfortenstraße 6 und ab 1934 in der Erichstraße 4 oder die sog. „Frontkämpfer“-Siedlung, auch „SA-Siedlung“ genannt, an der Holtenser Landstraße (heute Münchhausen-, Flemes- und Gorch-Fockstraße), wo viele NS-Kader ab 1936 billigen Wohnraum erhielten.
     

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Das ehemalige Gerichtsgefängnis des Amtsgerichtes Hameln auf einem
Foto aus den 1970er Jahren (Quelle: Amtsgericht Hameln)

Diese – man könnte sagen – „Topografie“ NS-belasteter Orte in Hameln muss auch die Dokumentation von lokalen Orten der Verfolgung mit umfassen, die für das staatliche Terrorsystem von Bedeutung waren. Hier möchte ich das örtliche Gerichtsgefängnis am Zehnthof nennen, und zwar in seiner Funktion als Polizeigefängnis – auf dem Bild ist das Eingangsportal dieses Gebäudes zu sehen, das vor 40 Jahren abgerissen worden ist. Hier wurden im Laufe der NS-Jahre von der Hamelner Polizei politische und andere ehemalige Zuchthaushäftlinge eingeliefert, die nach Strafverbüßung nicht frei kamen, sondern in „Schutzhaft“ genommen wurden, und ab 1940 über 400 ausländische Zwangsarbeiter, die sich nach NS-Auffassung strafbar gemacht hatten.

Für viele, vielleicht sogar die meisten von ihnen, war das Gerichtsgefängnis nur eine kurze Zwischenstation auf dem Weg in ein KZ oder – bei den Zwangsarbeitern – in ein Gestapolager, ein sog. „Arbeitserziehungslager“, das einem KZ glich.

Damit wurde das Gerichtsgefängnis sozusagen zum „Bindeglied“ zwischen den „kleinen“ NS-Untaten hier in Hameln und dem monströsen Verbrechen „in der Ferne“, von dem mein Vorredner sprach.

 
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F. Wilfried Altkrüger, Die Karriere des Emil Busching in der Stadt Hameln 1933-1963

Der Friseur Emil Busching, geboren am 11. 10. 1891 in Augustupönen / Ostpreußen, ließ sich nach dem Ersten Weltkrieg (Dienstgrad: Gefreiter; Auszeichnungen: E.K. II, Ehrenkreuz für Frontkämpfer, schw. Verwundetenabzeichen) in Hameln nieder, legte 1922 die Meisterprüfung als Friseur ab und betrieb sein Geschäft in der Münsterstraße 2/4 bis 1936. Er engagierte sich in der Innung und im Kreishandwerkerbund, in dessen erweiterten Vorstand er im April 1933 wiedergewählt wurde.[5]

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Wilhelm Busching – Foto vom 24.04.1933
(Quelle: Bundesarchiv Berlin)

Er trat am 1.11.1931 in die NSDAP (Mitglieds-Nr. 725 549) ein und wurde im Januar 1932 Obertruppführer des SA-Sanitätsdienstes; 1933 wurde er zum Sturmführer im Stabe der SA-Brigade 65 und 1936 zum Hauptsturmführer der Staffel II/M 61 im Nationalsozialistischen Kraftfahr-Korps (NSKK) befördert. Busching war auch als weltanschaulicher Schulungsreferent tätig. Er gehörte 1934-43 der DAF und 1934-45 der NSV sowie 1943-45 dem RBddB an und war Mitglied des NS-Reichsbundes für Leibesübungen.[6]

Nach dem gewaltsamen Rauswurf des Oberbürgermeisters Dr. Scharnow am 11.7.1933 durch den örtlichen NS-Kreisleiter Scheller und SA-Trupps wurde Busching zum Senator und Vertreter des Oberbürgermeisters ernannt. Eine Bestätigung dieser Berufung durch den Regierungspräsidenten blieb wegen formaler Einwände aus. Trotzdem wurde Busching Leiter des Wohlfahrtsdezernats und führte ab 1936 als Geschäftsführer des Verkehrsvereins den Titel „Verkehrsdirektor“. In dieser Funktion nahm er für die Stadt Hameln alle organisatorischen Aufgaben für die jährlichen „Bückebergfeste“ wahr. Ab 1939 leitete er außerdem das Wirtschaftsamt. In die Kreisleitung der NSDAP wurde er 1942 als Kreisamtsleiter für Kommunalpolitik berufen.[7]

Während des Wehrdienstes von Oberbürgermeister Detlef Schmidt von Oktober 1941 bis Oktober 1943 war Stadtrat Busching amtierender Oberbürgermeister der Stadt Hameln und damit zugleich oberster Dienstherr der örtlichen Polizei. Somit war er mitverantwortlich für die Ende März 1942 erfolgte Festnahme und Überführung von 29 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Hameln in das Lager Ahlem bei Hannover, von wo aus sie in Massentransporten in das Ghetto Warschau und später in die Vernichtungslager verschleppt wurden. Ein weiterer Transport verließ am 23.7.1942 die Stadt in Richtung Theresienstadt. Er umfasste 15 Personen im Alter von über 65 Jahren.[8]

Damit war Hameln „judenfrei“. Der Historiker Bernhard Gelderblom vermerkt über den Abschluss der Deportationen lediglich: „Auf eine Anfrage des Regierungspräsidenten vom 26.1.1943 an den Herrn Oberbürgermeister in Hameln, ‚ob und gegebenenfalls welche Synagogengemeinden oder jüdische Kultusvereinigungen sich etwa (!) noch im dortigen Kreise befinden’, antwortet der Angeschriebene mit ‚Fehlanzeige’.“[9]

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Busching gab später zu Protokoll:

„Ob auch in Hameln Juden weggeschafft worden sind, weiss ich nicht. Ich sah lediglich mal einen kleinen Omnibus voll Leute auf dem Pferdemarkt in Hameln stehen, dessen Insassen mir auffielen, weil sie ein trauriges Gesicht machten. Sie waren gut gekleidet und hatten alle einen kleinen Koffer bei sich. Auf meine Frage wurde mir erwidert, dass es sich um Juden aus Bad Pyrmont handele, die nach Lublin verschickt würden. Wer diese Aktion damals durchgeführt hat, ist mir nicht bekannt.“[10]

Am 27.3.1943 beantragte Oberbürgermeister Schmidt aus seinem Wehrdienst heraus (!) beim Regierungspräsidenten in Hannover qua Ausnahmegenehmigung nach § 41 Abs. DGO die Umwandlung der ehrenamtlichen Bürgermeisterstelle in eine hauptamtliche. Auf eine Ausschreibung könne verzichtet werden, da die Besetzung der Stelle mit dem derzeitigen (ehrenamtlichen) Stelleninhaber Emil Busching vorgesehen sei und auch der Beauftragte der NSDAP damit einverstanden sei. Innerhalb von 14 Tagen erteilte der RP die Genehmigung. Auch dem Antrag auf Höhergruppierung stimmte der Regierungspräsident bereits innerhalb einer Woche zu und übermittelt die Ernennungsurkunde für Emil Busching zum hauptamtlichen 1. Beigeordneten für den Zeitraum vom 10.6.1943 bis 9.6.1955.[11]

Laut Angaben von 1944 in der Personalkartei des Hauptamtes für Kommunalpolitik der NSDAP hat sich Emil Busching als Leiter des Wohlfahrtsamtes und des Wirtschaftsamtes „voll bewährt“ und sei befähigt,

„auch in anderen Zweigen der Kommunalverwaltung Vollwertiges zu leisten. Während der zweijährigen Einziehung des Oberbürgermeisters zur Wehrmacht (1941-43, d. Verf.) hat er die gesamte Stadtverwaltung geleitet.“[12]

In einem Bericht des Regierungspräsidenten an den Reichsminister des Innern wurde gar erwogen, Oberbürgermeister Schmidt durch Busching ablösen zu lassen, da Schmidt aufgrund seines Alters und seiner schlechten physischen und psychischen Verfassung den Anforderungen des Amtes nicht mehr gewachsen sein könnte.[13]

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Wie sehr Stadtrat Busching in die Personalentscheidungen der Stadtverwaltung eingebunden war, zeigte sich am Beispiel der vom Regierungspräsidenten am 2.2.1934 verfügten „nochmaligen Prüfung der Gründe der Entlassung nach § 4 des Berufsbeamtengesetzes“ im Falle des früheren Oberbürgermeisters Dr. Harm. Als allgemeiner Vertreter des Oberbürgermeisters verfasste Stadtrat Busching die Stellungnahme und verunglimpfte den Betreffenden ganz im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie:

„Im übrigen muß ein Mann von den Geistesgaben eines Dr. Harm, der mit ca. 28 Jahren in die SPD eintrat, überzeugter Anhänger der marxistischen Lehre gewesen sein und damit bewußt international eingestellt oder sein Eintritt sollte ihm als Hilfsmittel für sein berufliches Fortkommen dienen und dann ist er ein Gesinnungslump.“[14]

Des Weiteren offenbarte er in dieser Stellungnahme seine uneingeschränkte Unterstützung des als „Mördersturm“ berüchtigten Hamelner SA-Schlägertrupps:

„Der Wert dieser Erklärungen ist am besten daraus zu ersehen, daß z.B. Herr Senator a.D. Müller noch einige Wochen nach der Machtergreifung durch die NSDAP. sich öffentlich in gehässiger Weise über den Reichskanzler äußerte und ihn auf dem Marktplatz vor Reichsbannerleuten als Lügner bezeichnete. Nur dem Umstand, daß die hiesige SA. sich an dem Tage in Pyrmont befand, hat er es zu verdanken, daß er noch am Leben ist.“[15]

Als SA-Sanitätstruppführer wurde Busching 1933 zunächst nationalsozialistischer Leiter des örtlichen ASB-Sanitätstrupps und übernahm kurz darauf im Handstreichverfahren auch die Führung der Sanitätskolonne des DRK. Nach der staatlich verfügten Einordnung des DRK in die Wehrmachtsorganisation wurde Busching zum Führer der örtlichen Kreisstelle ernannt; sein letzter Dienstgrad war „DRK-Oberstführer“.

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Die britische Militärregierung ließ Bürgermeister Emil Busching am 1.6.1945 verhaften und in das Internierungslager Staumühle/Hiddessen einliefern, sein Vermögen wurde eingezogen. Sein Haus in der „Vorstadtsiedlung“ Karl-Dincklage-Straße / Münchhausenstraße 9 blieb bis Anfang der 1960er Jahre beschlagnahmt.[16]

Im Entnazifizierungsverfahren wurde Busching wegen seiner Tätigkeit als Kreisamtsleiter für Kommunalpolitik in die „Kategorie I“ eingestuft. Auf Grund dessen wurde ab Anfang 1947 gegen ihn ein „Ermittlungsverfahren gegen die Angehörigen der Organisationen, die durch das Nürnberger Urteil als verbrecherisch erklärt worden sind“, eingeleitet, da er von 1942 bis 1944 „bei der dortigen NSDAP als Kreishauptstellenleiter“ tätig gewesen sei.

Dagegen führte Busching an, dass er nicht Mitglied des Führerkorps der NSDAP gewesen sei, da das Amt für Kommunalpolitik bereits zum Zeitpunkt seiner Berufung zu einer Hauptstelle heruntergestuft worden sei.

„Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich mich in meinen Personalakten in Unkenntnis obiger Herabstufung als Kreisamtsleiter bezeichnet habe.“[17]

Entgegen seiner Haltung bei der Berufung zum „Bürgermeister“ behauptete er in einem Gesuch zur Einstellung oder Beschleunigung des Verfahrens:

„Ich niemals Kreisamtsleiter gewesen bin; Ich niemals politischer Leiter war, weil das wesentliche Merkmal einer solchen Amtsinhaberschaft, die Bestätigung durch den Hoheitsträger, fehlte.“

Und dann setzt er wahrheitswidrig hinzu:

„Meine Berufung zum allgemeinen Vertreter des Oberbürgermeisters war gegen den Willen der Kreis- und Gauleitung im Jan. 1934 erfolgt durch einen im Gegensatz zur Gauleitung stehenden Reg. Präsidenten.“[18]

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Im Zuge des Verfahrens gab er wiederholt an, dass er „niemals von irgendwelchen Befehlen oder Anordnungen verbrecherischen Inhalts Kenntnis erhalten“ oder von den „verbrecherischen Handlungen des Führerkorps der NSDAP“ gewusst habe und legte zu seiner Entlastung sechs Leumundsschreiben vor.[19]

Wegen unterschiedlicher Auslegungen des Begriffs „head of office“ aus dem Nürnberger Urteil hob der Vorsitzende Richter der 13. Spruchkammer den für den 17.10.1947 angesetzten Verhandlungstermin auf; Busching wurde darauf hin am 31.10.1947 aus der Internierungshaft entlassen.

Der Beschluss der Spruchkammer wiederum wurde am 21. 1. 1948 vom 3. Senat des Obersten Spruchgerichtshofes in Hamm i.W. aufgehoben und in der Sache korrigiert:

„Zu Unrecht hat der Vorderrichter die Zugehörigkeit des Angeschuldigten zu dem unter die Erklärung des Nürnberger Urteils fallenden Personenkreises verneint. ... Massgebend ist vielmehr, ... ob er ein Amt im Sinne des Organisationsbuches der Partei innegehabt hat und verwaltet hat. ... Diese Frage zu klären wird allein im Wege einer mündlichen Verhandlung möglich sein. Sollte sich ergeben, dass die von dem Angeschuldigten bekleidete Stelle, wenn auch nur zeitweise, ein Amt gewesen ist, so gehört der Angeschuldigte zu dem von dem Nürnberger Urteil betroffenen Personenkreis.“

Unter Hinweis auf die frühe Parteizugehörigkeit und die darauf zurückzuführende ehrenamtliche bzw. hauptamtliche Tätigkeit in leitender Stelle der Stadt Hameln erklärte das Gericht:

„Es besteht daher von vornherein ein nicht geringer Verdacht, dass er für eine Bestrafung massgebende Kenntnis gehabt hat. Hinzu kommt, dass er nach seiner Einlassung die Verpflichtung der Juden zum Tragen des Judensterns gekannt und auch gewusst hat, dass die Juden zwangsweise nach dem Osten gebracht worden sind. Diese Massnahmen bilden aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ob und inwieweit das Korps der politischen Leiter an diesen Massnahmen beteiligt war und der Angeschuldigte hierum gewusst hat, muss einer Klärung in der mündlichen Verhandlung überlassen bleiben.“[20]

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Die 13. Spruchkammer erkannte nach dieser Entscheidung der Revisionskammer in einer mündlichen Verhandlung gegen den „ehemaligen Kreishauptstellenleiter – Amtsleiter“ Emil Busching am 17. 8. 1948:

„Der Angeklagte wird auf Kosten der Staatskasse f r e i g e s p r o c h e n !“

Das Gericht stützte sich dabei auf die Bekundungen des Zeugen Brodhage, der ab Juni 1942 als Kreisorganisationsleiter und später Kreispropagandaleiter in der Kreisleitung Hameln tätig war.

„Dieser erklärte, daß das ‚Amt’ schon zur Zeit seines Dienstantrittes zu einer Hauptstelle herabgestuft und daß der Angeklagte ihm als Berater des Kreisleiters in kommunalpolitischen Angelegenheiten vorgestellt worden war.“

Das Gericht sah demzufolge nicht den Nachweis erbracht, „daß der Angeklagte jemals ein Amt im Sinne des Organisationsplanes der NSDAP innegehabt hat“.

Die Revision der Anklagebehörde gegen dieses Urteil wurde am 1. 12. 1948 vom 3. Spruchsenat des Obersten Spruchgerichtshofes verworfen. In der Begründung wurde die Einschätzung der Spruchkammer bestätigt, „in Verbindung mit den Angaben des Zeugen Brodhage zu dem Ergebnis gekommen (zu sein), es sei nicht zu widerlegen, dass das ‚Amt’ schon zu Beginn der Tätigkeit des Angeklagten in eine Hauptstelle umgewandelt worden sei“. Der Zeuge Brodhage, der erst ab Juni 1942 in der Kreisstelle tätig gewesen ist, habe angegeben, das Amt für Kommunalpolitik sei „seit Ende 1941 – auf den genauen Zeitpunkt kann ich mich nicht festlegen – von einem Kreisamt zu einer Hauptstelle herabgestuft und in das Kreisstabsamt eingebaut worden“.[21]

Die Wiedereinstellung in den Dienst der Stadt Hameln wurde Busching durch den damaligen Oberstadtdirektor Wilke verwehrt. Bei der Kommunalwahl 1952 wurde er in den Rat der Stadt Hameln gewählt – „parteilos – Bürgermeister z. Wv.“ Er gehörte dem Block CDU-DP-BHE an. 1956 und 1961 wurde er auf der Liste der CDU wiedergewählt und blieb bis 1963 im Rat der Stadt, wo er in diversen Ausschüssen mitwirkte.[22]

In der Mitgliederversammlung des DRK-Kreisvereins Hameln-Stadt am 28.12.1954 wurde „Bürgermeister a. D. Busching“ zum 3. Vorsitzenden und gut ein Jahr später am 18.2.1956 zum 1. Vorsitzenden gewählt. Nach Wiederwahl 1960 blieb er in dieser Funktion bis zum 21.11.1963 und wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt.[23]

Auf Vorschlag des DRK-Hameln-Stadt und der Stadt Hameln wurde „Bürgermeister a. D. Busching“ am 20.5.1959 mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet![24] Emil Busching ist 1972 in Hameln verstorben.

Der Vorstand des DRK-Ortsvereins Hameln e. V. hat sich am 1.4.2009 von der Entscheidung des Deutsches Rotes Kreuz - Kreisverband Hameln-Stadt e. V. von 1958, seinen ersten Vorsitzenden, den Ratsherren und Bürgermeister a. D. Emil Busching, für die Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland vorzuschlagen, distanziert.


[5] Dewezet vom 25.4.1933; Bundesarchiv (ehem. BDC) PK Busching, Emil, geb. 11.10.1891

[6] Bundesarchiv (ehem. BDC), NSDAP-Zentralkartei; Deutsches Rotes Kreuz, Dienstaltersliste des Deutschen Roten Kreuzes, Stand vom 1. Juli 1940, Berlin 1940, S. 26; Stadtarchiv Hameln, Personalakte 1075 (Dr. Harm); Entnazifierungs-Ausschuß der Stadt Hameln v. 2.4.1948

[7] Bundesarchiv (ehem. BDC), Personal-Blatt „Emil Busching“ des Hauptamtes für Kommunalpolitik der NSDAP aus dem Jahre 1944; lt. Artikel der Dewezet vom 12.6.1943 war er „Kreisamtsleiter für Kommunalpolitik“.

Busching selbst gab im Zuge der Ermittlungen durch die Spruchkammer 1947 an: „Etwa 1942 mit der vorübergehenden vertretungsweisen Wahrnehmung der kommunalpolitischen Angelegenheiten der NSDAP beauftragt, da Landrat als Stelleninhaber zum Wehrdienst einberufen.“

[8] Bernhard Gelderblom, Sie waren Bürger der Stadt, Die Geschichte der jüdischen Einwohner Hamelns im Dritten Reich. Ein Gedenkbuch, Hameln 2. Aufl. 1979, S. 92-95

[9] Bernhard Gelderblom, ebd., S. 94

[10] Spruchgerichtsakte des Spruchgerichts Hiddessen, BArch (ehem. BDC), Z 42 V/132, Protokoll vom 24.6.1947

[11] Hauptstaatsarchiv Hannover, Nds. 120 Hann., Acc 58/65 Nr. 273 und Nds. 100 Acc. 2000/020 Nr. 38; Dewezet vom 12.6.1943

[12] Hauptstaatsarchiv Hannover, Nds. 120 Hann., Acc 58/65 Nr. 221 vom 12.2.1944

[13] Ebd.

[14] Stadtarchiv Hameln, Personalakte Nr. 1075 (Dr. Harm), Hervorhebungen i. O.

[15] Stadtarchiv Hameln, Personalakte Nr. 1075 (Dr. Harm)

[16] Die Dewezet schrieb am 12.6.1943: „Das Zustandekommen der Vorstadtsiedlung ist hervorragend sein Verdienst mit.“

Seine Nachbarn dort waren u.a. SA-Standartenführer Richard Kalusche (Nr. 8), Eisenhändler und Senator Robert Großmann (Nr. 13) und der technische Assistent und NSDAP-Organisationsleiter Heinrich Brodhage.

[17] Spruchgerichtsakte des Spruchgerichts Hiddessen, BArch (ehem. BDC), Z 42 V/132, Protokoll vom 24.6.1947

[18] Spruchgerichtsakte des Spruchgerichts Hiddessen, BArch (ehem. BDC), Z 42 V/132, Gesuch vom 10.10.1947 an den öffentlichen Ankläger beim Spruchgericht Hiddessen

[19] Spruchgerichtsakte des Spruchgerichts Hiddessen, BArch (ehem. BDC), Z 42 V/132, Schreiben Buschings vom 1. 8. 1947 an den öffentlichen Ankläger beim Spruchgericht Hiddessen

[20] Ebd., Urteil vom 17. 8.1948

[21] Ebd., Urteil v. 1.12.1948

[22] Verwaltungsberichte der Stadt Hameln 1952, 1956 und 1961

[23] Amtsgericht Hameln – Vereinsregister

[24] Hauptstaatsarchiv Hannover, Nds. 100 Acc. 2000/020 Nr. 38; Dewezet vom 21.5.1959. Im Personalaktenverzeichnis der Stadt Hameln (Stand bis Ende 1952) fehlt die Personalakte „Busching“; der Name ist im Verzeichnis gestrichen!

 
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G. Bernhard Gelderblom, Die Bedeutung des NS-Kultortes Bückeberg

Der Bückeberg bei Hameln war in den Jahren 1933 bis 1937 ein NS-Versammlungs- und Festort von hohem Rang. Hier versammelten sich 500.000 bis eine Million Menschen, um in einer kultischen Feier auf den „Führer“, die "Volksgemeinschaft" und den "Wehrgedanken" eingeschworen zu werden. Der Gedanke des Festes geht auf Josef Goebbels zurück, der Albert Speer mit seiner Ausgestaltung beauftragt hatte.

Der riesige Festplatz, der durch sehr umfangreiche Baumaßnahmen in den Jahren 1933 bis 1937 gestaltet wurde, ist weitgehend erhalten und ein Zeugnis hohen Ranges für die Methoden, mit denen die Nationalsozialisten die Massen zu beeinflussen suchten. Im oberen Bereich des ebenmäßig planierten Geländes sind die Fundamente der „Ehrentribüne“ erhalten. Im Umfeld des Festplatzes befinden sich weitere wichtige Relikte wie zahlreiche Straßen, mehrere Bahnhöfe, ein Wasserbehälter etc. Die gesamte Landschaft rings um den Festplatz hat damals eine Gestaltung erfahren.

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Die Unfassbarkeit der nationalsozialistischen Massenverbrechen hat im historischen Bewusstsein lange Zeit alle anderen Erscheinungsformen der nationalsozialistischen Diktatur in den Hintergrund gedrängt. Dies hat eine rationale Auseinandersetzung mit dem historischen Geschehen erschwert. Denn wenn der Nationalsozialismus eindimensional mit Auschwitz assoziiert wird, dann können die jetzt lebenden Generationen, insbesondere die jungen Menschen, schwerlich begreifen, warum eine große Mehrheit ihrer Vorfahren Hitler über einen beträchtlichen Zeitraum unterstützt und in Teilen sogar frenetisch gefeiert hat. Für die Attraktivität des Regimes bei den Massen war neben den anfänglichen außenpolitischen, wirtschafts- und sozialpolitischen Erfolgen vor allem sein immenses Verführungspotenzial maßgebend, seine Fähigkeit, sich und seine Politik so zu inszenieren, dass Massen davon ergriffen und fasziniert wurden. Erst beide Seiten zusammen ergeben ein komplettes und überzeugendes Geschichtsbild.

Während „Bergen-Belsen“ das furchtbare Ende und die immer vorhandene Zielsetzung des Regimes zeigt, liefert der Bückeberg die Erklärung, warum „Bergen-Belsen“ möglich war, warum Hitler so viele Menschen derart blind gefolgt sind. Das letztere ist heute gerade jüngeren Generationen gegenüber immer dringlicher klarzumachen. Insofern liegen im Bückeberg sehr große pädagogische Potentiale.

Der Denkmalschutz ist Voraussetzung für eine offensive Auseinandersetzung mit dem Bückeberg. Es gibt ihn bis heute nicht.

 
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H. Martin Hellmold und Edward Menking, Kunst im öffentlichen Raum

Obwohl Hameln keine traditionelle Kunststadt ist, gibt es hier viele öffentliche Kunstwerke und dekorative Plastiken zu entdecken. Im Stadtgebiet finden sich auf Plätzen, in Parks und an Gebäuden über 50 Werke. Zuletzt sind so unterschiedliche Objekte wie der „Rattenfänger-Brunnen“ (Bruno Jakobus Hoffmann, 2001, Osterstraße) und „Rattus mobilis“ (Elena Glazunova, 2009, Insel an der Schleuse) hinzugekommen.

Die Techniken und Themen der in Hameln aufgestellten Werke sind sehr vielfältig. Ebenso unterschiedlich ist ihr künstlerischen Anspruch und damit auch der Rang, der ihnen aus kunsthistorischer Sicht zuzusprechen ist. Die meisten Werke stammen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Manche sind Teil der gesetzlichen Förderprogramme zur Kunst im öffentlichen Raum und wurden im Zusammenhang mit neu errichteten Gebäuden installiert. Zahlreich sind jedoch auch die Fälle, in denen die Aufstellung auf private Initiative zurückging.

Zu einer systematischen und gleichzeitigen Errichtung mehrerer Werke kam es im Zuge zweier von städtischer Seite organisierter Bildhauersymposien (1986 und 1992). Bei diesen Anlässen, die auf die Initiative der damaligen Oberbürgermeisterin Christa Bruns zurückgingen, wurden auch einige ungewöhnliche Standorte ausgewählt. Die Vielzahl der sonstigen Werke konzentrierte sich auf den Bürgergarten, die Altstadt und die sogenannte Weserpromenade zwischen der neuen Weserbrücke und der alten Eisenbahnbrücke.

So erfreulich die Vielfalt künstlerischer Arbeiten im Stadtraum ist, so bedauerlich ist teilweise deren aktueller Zustand. Viele Objekte haben keine Beschilderung mehr oder hatten diese nie. Es existiert auch keine öffentlich zugängliche Dokumentation der Werke. Die Anteilnahme der Bürgerinnen und Bürger an den Werken ist insgesamt gering. Dies fällt besonders dann auf, wenn Beschmutzungen oder Zerstörungen lange Zeit bestehen bleiben, weil die Säuberung oder Restaurierung aus der Bevölkerung nicht mit Nachdruck gefordert wird. Auch bei Neuaufstellungen, unzureichenden Restaurierungen oder gar dem Verschwinden von Werken findet kaum eine Debatte statt.

Als Beispiel für die Zerstörung eines Kunstwerks kann „Der Erwachende“ von Kurt Schwertfeger gelten. Die Skulptur aus dem Jahr 1962 war im Bürgergarten aufgestellt, bis sie eines Nachts von Unbekannten „enthauptet“ wurde. Einige Zeit später wurde das Kunstwerk aus dem Bürgergarten entfernt. Seine Fragmente sollen sich im Bauhof der Stadt Hameln befinden.

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Die Schwierigkeiten der Restaurierung von Werken im öffentlichen Raum zeigen sich am Beispiel des „Balkenmanns“ von Ulrike Enders auf dem Wilhelmsplatz. Zum Bildhauersymposium 1986 war diese Arbeit entstanden und von der Stadt angekauft worden. Sie besteht aus Eichenbalken, die aus dem Abriss historischer Altstadthäuser stammen und hat somit einen unmittelbaren Ortsbezug. Über 20 Jahre lang hatte die ca. 4 Meter hohe Plastik auf dem begrünten Platz gestanden. Als die von der Witterung angegriffene Holzkonstruktion umzustürzen drohte, wurde sie sicherheitshalber „kontrolliert umgelegt“. Nach Angaben des Kulturbüros der Stadt Hameln wurde dann bei einem Ortstermin mit der Künstlerin die Art der Restaurierung besprochen. 2009 konnte das Werk wieder aufgestellt werden. Stabilisiert wird es nun durch eine Metallkonstruktion, die den künstlerischen Ausdruck des Werkes verändert. Aus Gründen der Sicherheit muss diese Einschränkung jedoch in Kauf genommen werden.

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Die Verschmutzung eines Werkes kann an der Betonplastik von Erich Lethgau vor dem Finanzamt in der Süntelstraße beobachtet werden. Seit vielen Jahren ist dieses Kunstwerk, das 1984 beim Neubau des Amtsgebäudes mit errichtet wurde, nicht mehr gereinigt worden. Die Oberfläche ist von Witterungseinflüssen und Beschmierungen verschmutzt, die farbige Gestaltung kann teilweise nur noch erahnt werden.

Der Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln möchte die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Werke verbessern und ein Forum der Diskussion über Kunst im öffentlichen Raum in Hameln und dem Landkreis Hameln-Pyrmont bieten. Als erster Schritt hierfür ist die Einrichtung eines Online-Werkarchivs geplant.