Erster Weltkrieg in Hameln und der Region

Aufsätze

„Das Volk in Waffen“

Von Wilfried Altkrüger und Bernhard Gelderblom

 

Auf der Berliner Schulkonferenz im Dezember 1890 wandte sich Kaiser Wilhelm II an die Leiter der höheren Schulen:

„Ich suche nach Soldaten. Wir wollen eine kräftige Generation haben, die auch als geistige Führer und Beamte dem Vaterlande diene. ... Bedenken Sie, was uns für ein Nachwuchs für die Landesverteidigung erwächst!“

Die Lehrer forderte der Kaiser dazu auf, die Staatstreue der Heranwachsenden zu fördern. Ein Jahr später wurden tägliche körperliche Übungen in den Lehrplan für die Höheren Schulen übernommen.

Die Verstärkung des Schulturnens unterstützte auch der „Zentralausschuß zur Förderung der Volks- und Jugendspiele“, dem nationalliberale Politiker, die Deutsche Turnerschaft sowie Vertreter des rechts stehenden „Alldeutschen Verbandes“ angehörten. 1899 sprach sich der „Zentralausschuß“ für eine militärische Ausrichtung der Jugenderziehung aus.

Wie viele andere gesellschaftliche Kräfte sah der Zentralausschuss das Deutsche Reich im Wettlauf mit den anderen europäischen Mächten um Kolonien und ging von einer drohenden Kriegsgefahr aus. Das Heer verkörperte für ihn die leibliche und sittliche Kraft der Nation.

Aus dem Militär kamen ähnliche Forderungen. General Colmar von der Goltz empfahl, den Kampfeswillen von Freiwilligen für das stehende Heer zu nutzen. Dazu sollte die Zahl der Rekruten erhöht werden. Vorher jedoch seien sie durch „gründliche Vorbereitung der heranwachsenden Geschlechter für den Waffendienst“ auszubilden.

Von der Goltz schlug vor, an die Volksschulen ausgediente Unteroffiziere und an die höheren Lehranstalten inaktive Offiziere als „Erzieher für die künftigen Vaterlandsverteidiger“ zu entsenden. Drang er damit nicht durch, so sah er mit dem Erlass des Preußischen Unterrichtsministers zur Jugendpflege von 1911 die Gelegenheit gekommen, seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Von der Goltz beantragte beim Kaiser die Gründung des „Jungdeutschland-Bundes“ zur praktischen vormilitärischen Erziehung der Jugend. Zugleich bat er, Armeeangehörige auf freiwilliger Basis für diese Arbeit rekrutieren zu dürfen. Dem stimmte der Kaiser „freudig“ zu.

Neben Wandervogelbünden gehörten dem Jungdeutschland-Bund der Deutsche Pfadfinderbund, die Deutsche Turnerschaft und der Deutsche Fußballbund an, später auch katholische Jugendvereine. Zusammen mit den neuen Jugendwehren sollte eine „große nationale, alle Kreise und alle Berufsstände gleichmäßig angehende Bewegung“ gebildet werden.

Mit der Gründung des Jungdeutschland-Bundes war den Vertretern des rechtsbürgerlichen Militarismus ein wesentlicher Schritt zur umfassenden Kontrolle der deutschen Jugend und deren Militarisierung gelungen (so der Historiker Carl Alexander Krethlow).

Bei Kriegsausbruch 1914 setzte sich der Jungdeutschland-Bund ausdrücklich für die „Kriegsverwendung“ der Jugendlichen ein:

„Unser Vaterland ist schwer bedroht, die Feinde wollen es nicht nur schwächen, sondern zerstückeln und vernichten. Aber seine tapfere Kriegsmacht wird es retten, zum Siege führen und seinen Ruhm erhöhen.
Jungdeutschland hilft mit dabei, es glaubt fest an die Zukunft Deutschlands und ist entschlossen, ihr unter seines Kaisers glorreicher Führung Gut und Leben zu opfern. Glück auf, deutsche Jungmannschaft. Ans Werk. Erfülle deine Pflicht.“

 

Die Gründung des Goltzhauses in Hameln

Bei der Förderung der militärischen Jugenderziehung hat sich Hameln besonders hervorgetan. Zeugnis davon gibt bis heute das „Goltzhaus“ in der Bennigsenstraße.

Im November 1911 wurde Hauptmann Erich Karwiese mit dem Aufbau des Jungdeutschland-Bundes für Hameln betraut. Die Mitglieder des städtischen Jugendpflegeausschusses sagten wohlwollende Unterstützung zu. Die örtliche Garnison sorgte für Konserven, Zeltbahnen und anderes. Der Männerturnverein leitete die Turnspiele auf dem Kasernenhof. Neben den sonntäglichen Übungen fanden an drei Tagen in der Woche Übungsabende statt, an denen Unterweisungen im Waffen- und Patrouillendienst erfolgten.

1912 umfasste der Bund in den Kreisen Hameln, Schaumburg und Holzminden 50 Ortsgruppen mit 2.000 Mitgliedern. Zu Beginn des Jahres begann Hauptmann Karwiese mit der Errichtung eines „Jungdeutschlandhauses“ in Hameln. Die Stadt stellte unentgeltlich ein Grundstück bereit und bürgte für ein Darlehen. Durch Vorleistungen des Architekten, der Bauunternehmer und Handwerker konnte das Vorhaben umgehend realisiert werden.

Die Einweihung wurde im April 1913 an zwei Tagen groß gefeiert. Der Vorsitzende des Jungdeutschland-Bundes von der Goltz – damals der „populärste lebende General in Deutschland“ – wurde von einer Ehrenformation am Bahnhof empfangen. Anschließend fuhr er mit Gefolge von fünf „prächtigen neuen Automobilen“ der hiesigen Norddeutschen Automobilwerke durch die beflaggte Stadt.

Zur „Heerschau“ am zweiten Festtag hatten rund 1.200 Mitglieder des Bezirksverbandes Aufstellung genommen. Nach der Übergabe einer neuen Fahne betonte von der Goltz in seiner Rede,
„daß die jungen Leute in den Ortsgruppen zur Vaterlandsliebe und Pflichttreue erzogen würden und daß daneben aber auch die Stählung und Kräftigung des Körpers betrieben würden, um Jungdeutschland fähig zu machen, die Strapazen des Soldatenlebens zu ertragen und das Vaterland im Notfalle wirksam zu verteidigen“.

Nach der abschließenden Parade begrüßte Bürgermeister Justus Meyer die Festgesellschaft und verwies auf die volle Unterstützung durch die Stadt. Karwiese erhielt für seine Verdienste den Roten Adlerorden 4. Klasse.

Mitten im Krieg, am 10. September 1916, fand ein weiterer „Ehrentag der Hamelner Jugendwehr“ statt, als der ins Kriegsministerium gewechselte Major Karwiese zwei österreichischen Offizieren „die Hauptstätten dieser hochwichtigen Arbeit zur Ertüchtigung unserer Jugend“ zeigte und die Hamelner Jugendkompagnien Proben ihrer militärischen Vorbereitung gaben.

 

Hamelner vaterländische Verbände

Die bereitwillige Förderung der militärischen Jugenderziehung in Hameln war Ausdruck der „vaterländischen Gesinnung“, die weite Teile des Bürgertums erfasst hatte. Ein nicht unerheblicher Teil der Honoratioren, der sich bisher den Liberalen zugerechnet hatte, wandte sich seit den 1890er Jahren den zahlreichen nationalen Verbänden der Neuen Rechten zu.

Generalmajor Ernst Köhler und Fabrikant Dr. Paul Lohmann, auf die auch der Museumsverein zurückgeht, gründeten kurz nach 1899 die Hamelner Ortsgruppe der Deutschen Kolonialgesellschaft. 1907 trat der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft dazu. Eine Ortsgruppe des Deutschen Flottenvereins bestand in Hameln seit März 1900.

Im April 1912 fand die Gründung des Hamelner „Wehrvereins“ statt, des ersten in der Provinz Hannover. Nach Auffassung von Stadtsyndikus Karl Sertürner habe Deutschland im September 1911 unmittelbar vor Ausbruch eines Krieges gestanden. Damals sei der Befehl an die englische Flotte ergangen, sich bereit zu halten, ohne Kriegserklärung über die deutsche Flotte herzufallen. Diese Nachrichten hätten jedes patriotische Gemüt mit Sorge erfüllt.

Die seit 1915 bestehende Ortsgruppe des „Flottenbundes deutscher Frauen“ sah ihre Aufgabe darin, das Ziel einer der politischen und wirtschaftlichen Machtstellung Deutschlands entsprechenden Flotte in weite Kreise deutscher Frauen und Mädchen zu tragen.

Im Januar 1917 lud die Ortsgruppe des Alldeutschen Verbands zur Fahrt zu einer „Ausschusssitzung für einen deutschen Frieden“ nach Berlin ein. Der Alldeutsche Verband trat für einen „Siegfrieden“ mit weitreichenden Annexionen ein und lehnte den von US-Präsident Wilson geforderten „Frieden ohne Sieger und Besiegte, ohne Annexionen und Kontributionen“ vehement ab.

Nur eine Stimme erhob sich damals gegen den übersteigerten Nationalismus der nationalen Verbände. Sie gehörte dem Oberlehrer des Jungengymnasiums Max Schneidewin. Er bemängelte bereits 1899 in seiner Kritik des Nationalliedes dessen „überspannten Nationalismus“. Das Lied sei zu einem „Erkennungszeichen des Antisemitismus“ geworden. Die Treue zu Deutschland könne bis zur „Pudelnärrischkeit“ entarten. Ohnehin könne dieses „Klassenlied“ der vierte Stand, also die Arbeiterschaft, nicht mitsingen.
 

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