Erster Weltkrieg in Hameln und der Region

Aufsätze

Die Inschriften im Hamelner Münster.
Rückblick auf eine lebhafte Debatte

Von Bernhard Gelderblom

 

Am 5. August 2000 – vor 14 Jahren – eröffnete die Dewezet unter dem der Kriminalberichterstattung entliehenen Titel „Tatort Münster: Die zweite Schleifung eines Mahnmals“ eine Debatte. Im Artikel heißt es:

„Überraschung im Münster St. Bonifatii: Die in Stein gemeißelten Namen der Gefallenen des Ersten Weltkrieges vor 25 Jahren bei der Restaurierung des Gotteshauses übertüncht sind wieder sichtbar geworden; die alte Farbe deckt nicht mehr.“

Der Gemeinde biete sich nun die Gelegenheit, eine Entscheidung, die vor einem viertel Jahrhundert „zu voreilig“ gefällt wurde („vermutlich aus ideologischen Gründen“), rückgängig zu machen. „Ein Denkmal der Stadt wieder freizulegen, statt es nun endgültig auszulöschen.“

Tatsächlich hatte die Münstergemeinde vor 25 Jahren – 1975 nach Abschluss der Münsterrenovierung – die Wand mit den Namen der Toten des Ersten Weltkriegs im nördlichen Seitenschiff übertünchen lassen und stattdessen ein Namensbuch ausgelegt.

Ein Buch, das unter Glas liege, könne nicht durchgeblättert werden. Nichts biete so sehr die Chance, „das Grauen des Welt- und eines jeden Krieges so plastisch vor Augen“ zu führen, wie diese Wand. Sie müsse wiederhergestellt werden. Hier werde sich erweisen, „wie sensibel die Münsterkirche mit der Hamelner Geschichte umgehen will“.

Wenige Tage später gab es im Münster eine sehr emotional geführte Aussprache. Die Vertreter der Gemeinde mussten sich gegen den Vorwurf wehrten, bei der Übermalung habe es sich um eine „Nacht und Nebel-Aktion“ gehandelt.

Der Bericht der Dewezet über die Veranstaltung gab den Befürwortern der Wiederherstellung ausführlichen Raum, allen voran Annemarie Stolte. Die „86-jährige Symbolfigur des Widerstands gegen ein Überputzen“ bestand darauf, dass der Name ihres Vaters an der Wand nicht gelöscht werde. „Die Inschriften ersetzen für die Angehörigen das Grab, das vielen ihrer Lieben nicht vergönnt gewesen ist. … Nur bei Verbrechern werden die Namen gelöscht.“

In den nächsten Wochen folgte eine große Anzahl von Leserbriefen, welche die Vorwürfe gegen die Gemeinde teilweise noch zuspitzten. Dr. Eberhard Spetzler: Der Kirchenvorstand habe „mit der Zerstörung der Gedenktafel für die Gefallenen die Gefühle von deren Angehörigen und von alten Soldaten brutal verletzt“. „Die Schändung der Gedenktafeln“ sei „überwiegend aus ideologischen Gründen“ geschehen. Man sei einem „Zeitgeist“ gefolgt, wie er sich auch in der „berüchtigten Wehrmachtsausstellung“ ausdrücke. Günther Kilian: „Man kann nur mit Bestürzung auf die gewollte Vernichtung der Namenstafeln der Gefallenen des Ersten Weltkrieges im Münster reagieren.“ Wilhelm Rösemeier sprach von einem „Auslöschenwollen von einem Teil deutscher Geschichte“.

Stimmen wie die von Hans-Joachim Trippler blieben vereinzelt: „‘Kirchenfrevel‘ ist ein entschieden zu starkes Wort für das, was mit den Gedenktafeln für die Weltkrieg-I-Opfer im Münster geschehen soll.“

Ein Gespräch zwischen Thomas Wünsche, dem für die Berichterstattung verantwortlichen Redakteur, und Superintendent Bernd Wrede sowie dem Kirchenvorstands-Vorsitzenden Gerd Scheunpflug verlief konfrontativ. Die Vertreter der Gemeinde beklagten die „von der Dewezet aufgebauten Fronten“ und forderten vergeblich, dass die Zeitung „sich für diese nicht angemessene Sprache entschuldigt“. Beide betonten, dass eine Entscheidung über die Zukunft der Wandinschriften noch nicht gefallen sei. „Wir denken nach, wollen für die Tafeln eine würdige Form finden.“

In der Folge prüfte die Gemeinde verschiedene Möglichkeiten zum Umgang mit der Namenswand. Ein Restaurator sollte die Kosten für ein Trockenlegen und für die Restaurierung berechnen. Erwogen wurde, die Namen auf neue Tafeln zu übertragen oder sie in Gedenkbuch zu übernehmen, in dem man blättern könne. Der Beginn der Arbeiten könne sich aber „mindestens zwei Jahre“ hinziehen.

Nun rief Annemarie Stolte zum Widerstand auf. Im August 2001 gründete sie die „Bürgerinitiative Mahnmal 1914-1918 im Münster“, in der sich alle sammeln sollten, welche „die Wiederherstellung der Gedenkstätte in alter Form“ wünschten.

Die Bürgerinitiative argumentierte nun auch juristisch. Das Mahnmal sei „in schwerster Nachkriegszeit 1922 erstellt und von den betroffenen Angehörigen unter größten Opfern selbst bezahlt“. Die Kirche habe nur den Platz im Münster zur Verfügung gestellt und kein Recht, über das Mahnmal zu verfügen. Die Bürgerinitiative behalte sich rechtliche Schritte vor.

Zwei Jahre schwieg die Dewezet. Offenkundig fanden aber im Hintergrund Gespräche statt, die einen Kompromiss ermöglichten. Die Bürgerinitiative musste akzeptieren, dass eine Restaurierung aus technischen Gründen – angesichts der Mauerfeuchte – unmöglich war. Sie ließ deswegen die Namen der 612 Gefallenen auf ihre Kosten auf zwei Glastafeln übertragen. Der Kirchenvorstand gestaltete das Gedenkbuch in der Weise neu, dass sich darin nun auch blättern ließ.

Am 23. November 2003 übergab die Bürgerinitiative dem Kirchenvorstand die Tafeln, die seitdem die Nischen links und rechts der Hochzeitstür in Nachbarschaft des Gedenkbuches füllen. Für die Dewezet war damit das Kapitel Münstermahnmal „endlich“ geschlossen: „Mit einem Händedruck zwischen Krause (Sprecher der Bürgerinitiative) und Wolten (Pfarrer der Münstergemeinde) wurde die Streitaxt begraben.“

War es die Namenswand wert, für ihren Erhalt auf die Barrikaden zu gehen und eine Kopie auf Glastafeln anfertigen zu lassen? Laut Überschrift enthält sie allein die „Gefallenen der Münster- und Marktkirchengemeinde“. Konsequenterweise fehlen die Namen von Nichtmitgliedern. Deutlich ist das bei den jüdischen Bürgern, die sich 1920 ein eigenes Ehrenmal in der Synagoge schufen. Die Namen der Gefallenen, die einer anderen oder keiner Religionsgemeinschaft angehörten, blieben ebenfalls ungenannt.

Vergeblich sucht man aber auch die Namen der etwa 400 zivilen Toten aus der Hamelner Bürgerschaft und die der etwa 1000 ausländischen Kriegsgefangenen, die in Hameln starben. Wenn es der Anspruch der Befürworter der Wiederherstellung der Namenswand war, das Grauen des Krieges zum Ausdruck zu bringen, sollten diese Gruppen nicht fehlen.

Gleichzeitig muss man der Kirchengemeinde auch zugestehen, das Gedenken dem Wandel der Zeit angemessen zu gestalten und es über die Schranken der Gemeinde- und Nationszugehörigkeit hinaus auf alle Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft auszudehnen. In diesem Sinne erinnert das Gedenkbuch in seinem Vorwort an die entsetzlich vielen Opfer, die das NS-Regime in Hameln aus ideologischen Gründen zu Tode brachte, an Juden, Politiker, Gewerkschafter, Homosexuelle, Behinderte, Sinti, Insassen des Zuchthauses und Zwangsarbeiter.

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