Erster Weltkrieg in Hameln und der Region
Aufsätze
Wohin mit der Walther-Skulptur für die Gefallenen der Stadtverwaltung?
Ein Kunstwerk der Moderne ist vom Verfall bedroht
Von Bernhard Gelderblom



Ansicht des Eingangsbereichs des Hochzeitshauses nach dem Umbau von 1932.
Fotos: Links Foto Blesius; Mitte und rechts Dagmar Köhler
Der Totenehrung der Gefallenen der Hamelner Stadtverwaltung diente eine Skulptur, die 1931 als tragende Säule neben einer in Schwarz gehaltenen Texttafel im Eingangsbereich des Erdgeschosses im Hochzeitshaus aufgestellt wurde. Sie stammt von dem Erfurter Künstler Hans Walther.
Geschickt verknüpft der Künstler die ihm gestellte Aufgabe des Gedenkens an die Opfer des Ersten Weltkrieges mit der Hamelner Rattenfängersage. Das Thema der Bildsäule ist die Trauer um jene Generationen junger Männer, die für falsche Ideale in den Tod geschickt wurden.
Die zentrale, fast vollplastisch herausgearbeitete Figur des Jünglings ist als nackter Krieger dargestellt. Nur wenige Attribute wie das Pulverhorn an seiner Seite deuten an, dass es sich um einen Krieger handelt. Seine Gestalt ist als ein bereits ins Jenseits entrückter Körper dargestellt, dem die Leiden des Todeskampfes nicht mehr anzusehen sind. In dieser Gestalt verkörpert sich die Generation der Soldaten von 1914-18, aber auch die 1284 verlorengegangenen Hamelner „Kinder“.
Die Brücke zwischen Totenklage und Rattenfängersage beruht auf der früher verbreiteten Rückführung der Sage auf die Schlacht bei Sedemünder. Im Kampf mit den Soldaten des Mindener Bischofs war das kleine Hamelner Heer 1260 vollständig aufgerieben worden. Der Pfeifer der Sage wird zum Vorläufer des sinnlosen Opfertodes deutscher Männer im Ersten Weltkrieg.
Verführt, ja verraten haben den Krieger die Alten, die angeblich Weisen, die tatenlos von oben hinunterschauen und gute Ratschläge geben. Das Motiv des Rattenkönigs (= an den Schwänzen verknotete bzw. verklebte Ratten), das sich zu Füßen des Kriegers befindet, stellt den Zusammenhang zur Rattenfängersage noch einmal ausdrücklich heraus. Es verweist auf den Verrat, den Bürgermeister und Rat der Stadt Hameln an dem Pfeiffer begangen haben, indem sie ihn um seinen Lohn geprellt haben.
Die Gestalt der verhüllten, still um den Krieger trauernden Frau am rechten Bildrand ist nur schwach im Relief angedeutet.
Im Zuge der völligen Entkernung des Hochzeitshauses für die „Erlebniswelt Renaissance“ in den Jahren 2004/05 zerbrach die Bildsäule in mehrere Teile und wurde schwer beschädigt. Die dazugehörende schwarze Schrifttafel ging komplett verloren.
Nachdem zunächst das Magazin des Museums den Trümmern Schutz geboten hatte, liegen sie nun seit mehreren Jahren auf dem Steinlagerplatz des Friedhofs Am Wehl. Hier ist das inzwischen mit Moos überwachsene Kunstwerk den Witterungsbedingungen, aber auch möglichem Vandalismus schutzlos ausgeliefert.


Das in zahlreiche Einzelteile zerbrochene Kunstwerk auf einem Lagerplatz des Friedhofs Wehl (Zustand im Juli 2014).
Fotos Gelderblom
Es muss die Frage erlaubt sein, ob die für diesen skandalösen Umgang mit dem Kunstwerk Verantwortlichen überhaupt eine Ahnung davon haben, welcher Wert hier zerstört worden ist. Der Erfurter Bildhauer Hans Walther (1888-1961) hat zahlreiche Kunstwerke vor allem für den öffentlichen Raum geschaffen. Schwerpunkt seiner Tätigkeit war die Stadt Erfurt, wo seine Werke bis heute große Verehrung genießen.
In Hameln errang sein Entwurf für ein städtisches Kriegerdenkmal 1924 in einem Wettbewerb den ersten Platz, wurde aber leider nicht ausgeführt. Der von Walther geschaffene Bühnenfries für den Stadtsaal der Garnisonkirche ist der Neugestaltung als Hauptstelle der Stadtsparkasse zum Opfer gefallen. Erhalten hat sich allein sein spätes Hauptwerk, das großartige Rattenfängerrelief aus dem Jahre 1961, das nachträglich einen Standort am Eingang zum Bürgergarten bekommen hat.
Seine erfolgreichste Zeit hatte Walther in den Jahren der Weimarer Republik. Nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht gekommen waren, wurde er in seiner Tätigkeit stark behindert. Viele seiner öffentlichen Denkmale, allen voran die pazifistisch ausgerichteten Kriegsdenkmale, hat man vernichtet. Im Zuge der Hetzkampagne gegen die sogenannte „Entartete Kunst“ sind ab 1937 auch fast alle in öffentlichen Museen befindlichen Werke Hans Walthers beschlagnahmt und zerstört worden. Die großartige Bildsäule im Hamelner Hochzeitshaus entging diesem Bildersturm, um dann durch einen unsachgemäßen Ausbau stark beschädigt zu werden.
Die Stadt Hameln möge sich endlich zu ihrer Verantwortung für das Kunstwerk bekennen und die notwendigen Schritte zu einer Sicherung der Bruchstücke unternehmen. Sie möge gleichzeitig über einen angemessenen neuen Aufstellungsort nachdenken, um die Skulptur bald restaurieren zu lassen.