Erster Weltkrieg in Hameln und der Region

Aufsätze

Postkarten von der Front

Von Bernhard Gelderblom

 

Eine Fülle von Bildmotiven war während des Ersten Weltkrieges in Form von Feldpostkarten in Umlauf. Die Angehörigen an der „Heimatfront“ erhielten die Karten von den kämpfenden Soldaten über die Feldpost zugeschickt. Der tägliche Postversand, mit dem kurze Nachrichten in die Heimat gesandt werden konnten, zählte nach Millionen. Die abgebildeten Motive vermittelten Eindrücke von der Front und prägten die Wahrnehmung des Krieges entscheidend.

Schon der Erste Weltkrieg war ein Medienkrieg und damit ein Vorbild für die Kriege der Gegenwart. Mit der Herrschaft über das Kriegsbild war die Deutungshoheit über den Krieg verbunden. Die Motive der Bildpostkarten waren keine Abbilder des wirklichen Kriegsgeschehens. Die Karten entstanden unter Aufsicht der allgegenwärtigen Zensur.

Verglichen mit Filmaufnahmen, die oft nachgestellt wurden, haben die Fotos einen etwas höheren dokumentarischen Wert. Sie haben nicht selten ihren Ursprung im offiziellen Rahmen der Kriegsberichterstattung. Als historische Quellen taugen sie aber nicht. Sie zeigen die Welt des Krieges, wie sie gesehen werden sollte. Damit haben sie ihren Erkenntniswert als Quellen zur Wahrnehmungsgeschichte des Ersten Weltkrieges und zu den Techniken politischer Propaganda.

Von der Brutalität des Ersten Weltkriegs, der als erster industriell geführter Massenvernichtungskrieg gilt, in dem alle volkswirtschaftlichen Kräfte für die Kriegsproduktion aufgewendet wurden und Materialschlachten ungeahnten Ausmaßes stattfanden, wird nichts sichtbar.

Der Bevölkerung verhalfen die Bildpostkarten dazu, sich Vorstellungen vom Krieg sowie von den Feinden und Freunden zu machen. Insbesondere für den ländlichen Raum kann man sagen, dass das Bild vom Ersten Weltkrieg nicht unwesentlich von den Bildpostkarten geprägt wurde. Zu den Abbildungen gab es kaum Alternativen. Regionale Tageszeitungen brachten nur selten Fotografien, und der Einzug des Kinos kam auf dem Land erst viel später. Zwangsläufig wurde den Karten eine hohe Authentizität zugesprochen.

Dieser Beitrag handelt unseren Gegenstand nicht in aller Breite ab. Er bezieht sich vielmehr auf ein konkretes Album aus unserer Region, das sich erhalten hat und dem Verfasser freundlicherweise zur Auswertung überlassen wurde. Es versammelt 36 Bildpostkarten, die ein Soldat seinem auf einem Dorf wohnenden Sohn, der damals noch die Schule besuchte, im Laufe des Krieges geschickt hat.

Die Stempel verraten, dass der Absender im Magazin der Fuhrparkkolonne Nr. 3 der 5. Landwehrdivision diente, also beim Nachschub und nicht bei der kämpfenden Truppe. Die Nachrichten, die sich auf den Karten befinden, sind sehr kurz gehalten.

„Lieber Fritz, sende dir viele Grüße. Dein Vater. Gruß an Mutter.“

Einzelheiten über den Einsatzort oder das Kriegsgeschehen erfahren wir nicht. Allein die versandten Bildmotive lassen die Einsatzorte an der West- wie an der Ostfront erkennen.

 

Im Folgenden werden einzelne Beispiele vorgestellt und kommentiert.

Am zahlreichsten sind in dem Album Karten von der französischen Front vertreten. Sie veranschaulichen die zumeist schweren Zerstörungen in Orten im Umkreis von Verdun (Fey-en-Haye, Preny, Vilcey und Dannevoux). In der „Blutmühle“ von Verdun standen sich Millionenheere im anhaltenden Stellungskrieg gegenüber.

 

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Die linke Karte zeigt deutsche Soldaten im Dorf Dannevoux bei Verdun, wo es 1916-1918 schwere Kämpfe gab, die rechte die 1915 zerstörte Brücke zwischen Mezieres und Le Pheux in den Ardennen.

 

„Arme Bewohner warten auf die Ausgabe von Lebensmitteln“ ist eine weitere Postkarte untertitelt. Eine Menschenschlange steht vor einem Gebäude in der französischen Kleinstadt Saint Mihiel.

Zerstörung, aber auch Hunger gibt es nur beim Feind – eine Botschaft an die Heimatfront, die unter extremem Hunger litt.

 

Die Hauptfeinde des Deutschen Reiches waren das „falsche“ und fette England, die feige und erschrockene französische „Marianne“ und das kulturlose Russland.

 

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Unter der Überschrift „Russische Kultur“ finden sich auf einer damals in vielen Versionen verbreiteten Karte die Verse:

„Hier laust sich der Vater, hier laust sich das Kind. Hier laust sich der Herr, hier laust sich’s Gesind‘. Ich als Quartiergast sitz‘ in der Mitt‘. Erst schau ich zu, dann laus‘ ich mit.“

 

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„Lustig ist das Soldatenleben“, wenigstens in der Etappe. Die nachkolorierte Bildpostkarte zeigt einen Zigarre rauchenden Soldaten und den Spruch: „Herrlich ist der Tabaksduft, bläst man Ringe in die Luft.“ Ließ sich mit derartigen Witzpostkarten wirklich der Ernst der Lage übertünchen und wenn auch nur für einen Augenblick gute Laune verbreiten?

 

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Angesichts der Kriegslage stellte sich das Führungspersonal des Reiches in aller Schlichtheit und Einfachheit dar. Auf der kolorierten Postkarte steht der faktisch weitgehend machtlose Kaiser Wilhelm II (links) neben dem populären Generalfeldmarschall Hindenburg, dem Chef des Generalstabs. Nach der Schlacht bei Tannenberg 1914 in Ostpreußen blühte der Kult um Hindenburg auf. Man widmete ihm Heldengedichte, Lieder, Dankadressen und viele Bildpostkarten.

 

Die Themen Tod und Verwundung waren keinesfalls tabu. Vielmehr sind ihnen erstaunlich viele Karten gewidmet.

 

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Eine frühe Postkarte („Schwere Kämpfe bei Ypern“) zeigt eine Szene der ersten Flandern-Schlacht von 1914: Ohne Deckung und Schutz voranstürmende, fallende und getötete Soldaten, mit Pickelhaube und Marschgepäck, vor sich Granateneinschläge und lodernde Flammen. Man möchte daran denken, wie damals ganze Freiwilligen-Bataillone ins feindliche Feuer geschickt wurden, angeblich voller Kriegsbegeisterung, das Deutschlandlied auf den Lippen und bereit, den Heldentod zu sterben.

 

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Drei Jahre später hat sich die Darstellung der kämpfenden Soldaten gewandelt. 1917, zur Zeit des amerikanischen Kriegseintritts, veröffentlichte die Reichsbank ein Plakat mit dem Brustbild eines deutschen Infanteristen. Er trägt den neuen Stahlhelm, der 1916 die lederne Pickelhaube abgelöst hatte, eine Gasmaske hängt um seinen Hals und zwei Handgranaten stecken in seinem Gürtel. Der Soldat steht in einem Stacheldrahtverhau, der den Stellungskrieg an der Westfront symbolisiert. Von Kriegsbegeisterung findet sich keine Spur. Stattdessen vermittelt das Plakat heroischen Durchhaltewillen und Kraft. Die Aufforderung „Helft uns siegen! Zeichnet Kriegsanleihe“ richtete sich unmittelbar an den Betrachter daheim, der sich diesem Appell emotional kaum entziehen konnte.

Als im Herbst 1917 die nächste (siebte) Kriegsanleihe aufgelegt wurde, entschied sich das Reichsschatzamt für das Motiv eines Fliegers, der, obwohl verletzt, doch seine Pflicht tut. Wieder symbolisiert das Plakatmotiv den Willen, unter allen Umständen durchzuhalten.

 

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Selbst das anrührende Bild eines deutschen Soldatenfriedhofes in Mars-la-Tour bei Metz mit seinen hölzernen Kreuzen, auf denen in ungelenken Buchstaben die Namen der Getöteten stehen, ist weit entfernt von der Realität des tausendfachen Sterbens, in dem der Tod als Maschinist des industrialisierten Krieges auftrat.

 

Am Ende bleibt als Fazit: Es gibt keine wahren Bilder vom Krieg. Bildern vom Krieg ist grundsätzlich zu misstrauen. „Lüge und Krieg sind Zwillinge.“

 

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