Die Dokumentation der Opfer der NS-Herrschaft
in der Stadt Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont
 

Einführung zu den Opfergruppen
 

Kapitel 2

Die Opfer unter den Gefangenen des Zuchthauses Hameln

Zu den biographischen Texten

Wegen der besonderen Probleme, die bei der Formulierung der biographischen Texte im Falle der Zuchthausgefangenen zu beachten sind, hier einige nähere Hinweise. Die biographischen Angaben sollen, soweit die Quellen es zulassen, so viele Informationen enthalten, dass die Schicksale der Verstorbenen anschaulich werden. Die Artikel enthalten die folgenden drei „Bausteine“.

  1. Neben dem Namen, dem Geburtsdatum und -ort wird der letzte Wohnort des Verstorbenen genannt – bei ausländischen Zwangsarbeitern auch ihr Einsatzort in Deutschland. Bei Ausländern folgt auf den Namen die Angabe der Staatsangehörigkeit.
     
  2. Im nächsten Absatz finden sich der Grund der Verhaftung (mit Ausnahmen, s.u.) sowie der Zeitpunkt von Verhaftung und Einlieferung in das Zuchthaus Hameln. Bei ausländischen „Nacht-und Nebel“-Häftlingen (s.u.) werden nach Möglichkeit weitere Details wie das verurteilendes Gericht und die Haftstationen vor Hameln genannt. Angaben zu Urteil, Strafmaß und Haftdauer, die bei guter Quellenlage etwas ausführlicher ausfallen können, schließen sich an.
     
  3. Zuletzt werden Zeitpunkt und Ort des Todes sowie – wenn möglich – der Ort der Bestattung aufgeführt (Friedhof, Grablage, ggf. Umbettung).

Die amtliche Todesursache wird in der Regel nicht mitgeteilt. Zum einen ist sie in vielen Fällen nicht überliefert; zum anderen verschleiert die amtliche Diagnose („Lungen-Tbc“, „Herzschwäche“, „Scharlach“, „Darmkatarrh“ usw.) die wahren Ursachen. Das massenhafte Sterben in den Jahren 1944/45 hatte angesichts der dramatischen Überbelegung seine Gründe in dem harten Arbeitsdruck, mangelnder Ernährung, katastrophaler Hygiene und kaum vorhandener medizinischer Versorgung.

Ausnahmsweise mitgeteilt werden Todesursache bzw. Todesumstände, wenn sie bestimmte Rückschlüsse erlauben. Einige Häftlinge nahmen sich das Leben, wurden „auf der Flucht erschossen“, öffentlich gehängt oder nach Verlegung in ein Zuchthaus mit Hinrichtungsstätte mit dem Fallbeil ermordet. Andere kamen bei Arbeitsunfällen ums Leben. In Einzelfällen werden Berichte von Zeitzeugen in die Darstellung einbezogen.

Der Haftgrund wird in der Regel in allgemeiner Form mitgeteilt, z.B. mit der Formulierung „aus politischen Gründen“ oder „nach Kriegssonderstrafrecht verurteilt“ Das genaue Vergehen (etwa „Hochverrat“, „Schwarzschlachten“ usw.) wird nicht genannt. Bei Inhaftierung wegen homosexueller Handlungen und bei vermeintlich oder tatsächlich kriminellen Delikten wird auf die Angabe des Haftgrundes aus Respekt vor der betreffenden Person bzw. ihren Angehörigen verzichtet.

Der in der Dokumentation gebrauchte Begriff „Kriegstäter“ bedarf einer Erläuterung. „Kriegstäter“ sind nicht selten unbescholtene Menschen oder Kleinkriminelle, die vom NS-Regime zu Schwerverbrechern erklärt wurden. Mit Kriegsbeginn 1939 wurden mit einem Bündel von „Kriegssonderstrafrechtsverordnungen“ neue Straftatbestände geschaffen, nach denen „Sondergerichte“ in Schnellverfahren Angeklagte mit drakonischen Urteilen hinter Gitter brachten. Zuchthausstrafen (und Todesurteile) gab es für „Schwarzschlachten“, Tauschhandel und andere „Kriegswirtschaftsverbrechen“, für den Verstoß gegen die „Volksschädlingsverordnung“ (etwa Diebstahl wie das Entwenden von Postpäckchen), für das „Abhören ausländischer Sender“ („Rundfunkverbrechen“) und für „Wehrkraftzersetzung“ (etwa die Äußerung von Zweifeln am „Endsieg“ oder Verleitung zur Fahnenflucht).

Von dieser Definition zu unterscheiden ist eine andere zeitgenössische Verwendung des Begriffs „Kriegstäter“, hinter der sich ein weiterer skandalöser Sachverhalt verbirgt. Nach einer Verordnung des Reichsjustizministers vom 11. Juni 1940 galten alle wehrfähigen Straftäter im Alter von bis zu 45 Jahren, die nach Kriegsbeginn zu Zuchthaus verurteilt worden waren, als „Kriegstäter“. Ihre Strafzeit sollte erst mit Kriegsende beginnen. Während des Krieges wurden die „Kriegstäter“ unter „verschärften Bedingungen“ im Zuchthaus „verwahrt“. Weil Vorbestrafte als „wehrunwürdig“ galten, wollte der Reichsjustizminister auf diese Weise „feigen und ehrlosen Wehrpflichtigen den Anreiz … nehmen, sich durch eine Straftat dem Wehrdienst zu entziehen“. Wer als „Kriegstäter“ begnadigt wurde, kam nicht selten zum „Bewährungsbataillon 999“, um an der Front in vorderster Linie eingesetzt zu werden.

Nicht nur die „Kriegstäter“, sondern auch die übrigen Gefangenen waren – in unterschiedlichem Ausmaß – Opfer einer NS-Unrechtsjustiz, die sich in ihrer Maßlosigkeit im Laufe des Krieges noch steigerte.
 

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