Ortsbilder

Kunst im öffentlichen Raum

Die Bildsäule von Hans Walther im Hochzeitshaus

Im Zuge der Umbaumaßnahmen für die inzwischen gescheiterte „Erlebniswelt Renaissance“ wurde im Eingangsbereich des Hamelner Hochzeitshauses ein künstlerisch hochwertiges und kulturgeschichtlich bedeutsames Kunstwerk entfernt: die Gedenk-Bildsäule des Erfurter Bildhauers Hans Walther aus dem Jahre 1931. Sie gehörte ursprünglich zu einem Gedenkstein, der an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Mitarbeiter der Stadtverwaltung Hameln erinnerte. Vermutlich beim Abbau im Jahre 2004 ist die Bildsäule in mehrere Teile zerbrochen. Da die verantwortlichen städtischen Stellen keine neue Verwendung für das Bildwerk hatten, wurde es im Erdlager des Friedhofes Wehl unter freiem Himmel abgelegt. Hier ist es nun seit mehreren Jahren den Witterungsbedingungen schutzlos ausgeliefert und inzwischen mit Moos überwachsen. Die dazugehörige Gedenktafel blauem fränkischen Muschelkalk ist gänzlich verschollen.

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Thema der Bildsäule ist die Trauer um jene Generation junger Männer, die für falsche Ideale in den Tod geschickt wurden. Gekonnt verknüpft der Künstler in seiner Skulptur die an ihn gestellte Aufgabe des Gedenkmotivs mit der Hamelner Rattenfängersage.

Die zentrale Figur des Jünglings ist als unschuldig verführter, von einflussreichen Männern einer älteren Generation verratener Krieger dargestellt. Der militärische Charakter der Hauptgestalt wurde dabei auf ein Minimum reduziert. Das Fehlen von Waffen, Fahnen, Uniform oder anderen nationalen bzw. kriegerischen Symbolen lässt die pazifistische Grundhaltung des Künstlers erkennen, der den Ersten Weltkrieg selbst als Soldat erlebt hatte. In der Tradition christlicher Bildwerke der Renaissance ist die Gestalt des Jünglings als idealschöner, bereits ins Jenseits entrückter Körper gezeigt, dem die Leiden und Verwundungen seines Todeskampfes nicht mehr anzusehen sind.

Ein Rattenkönig zu seinen Füßen stellt den Zusammenhang zum Rattenfängerthema her und verweist auf den Verrat, den der Bürgermeister und der Rat der Stadt Hameln der Sage nach an dem Pfeiffer begangen haben. Der Jüngling selbst ist aber nicht als Rattenfängergestalt zu verstehen, sondern als Doppelfigur, in der sich die verlorengegangene Hamelner Jugend von 1284 und die Generation der Soldaten von 1914-18 widerspiegeln. Die trauernde Gestalt einer verhüllten Frau am rechten Bildrand stellt ursprünglich die Verbindung zur direkt neben ihr platzierten Gedenktafel für die gefallenen Mitarbeiter der Stadtverwaltung dar. 

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Der Erfurter Bildhauer Hans Walther (1888-1961) hat in 50 Schaffensjahren zahlreiche Kunstwerke für den öffentlichen Raum ausgeführt. In Hameln findet sich noch heute sein spätes Hauptwerk, das Rattenfängerrelief am Eingang zum Bürgergarten. Seine erfolgreichste Zeit hatte der Künstler jedoch in den Jahren der Weimarer Republik. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde Walther in seiner Tätigkeit stark behindert. Viele seiner öffentlichen Denkmäler, allen voran die pazifistisch ausgerichteten Gefallenendenkmäler, wurden vernichtet. Im Zuge der Hetzkampagne gegen die sogenannte „Entartete Kunst“ wurden nach 1937 auch fast alle in öffentlichen Museen befindlichen Werke Hans Walthers beschlagnahmt und zerstört. Er teilte somit das Schicksal seiner berühmteren Kollegen und Freunde, wie zum Beispiel der expressionistischen Künstler Max Pechstein und Christian Rohlfs. Die Bildsäule im Hamelner Hochzeitshaus entging diesem Bildersturm. Als charaktervoller Schmuck einer städtischen Gedenkstätte überdauerte sie auch die Nachkriegsjahrzehnte, bis sie im Zuge des Umbaus für die „Erlebniswelt Renaissance“ nicht nur entfernt, sondern stark beschädigt wurde.

Der Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln e.V. setzt sich für die Restaurierung und Wiederaufstellung der Bildsäule ein. Der ideale Standort dafür wäre der ursprüngliche: das Hamelner Hochzeitshaus, dem nach dem Scheitern der „Erlebniswelt“ ein erneuter Umbau bevorsteht.

Autor: Dr. Martin Hellmold
Datum: 14. April 2011