Die Dokumentation der Opfer der NS-Herrschaft
in der Stadt Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont
 

Einführung zu den Opfergruppen
 

Kapitel 2

Die Opfer unter den Gefangenen des Zuchthauses Hameln

Todesorte 1: Hameln, Zuchthaus-Außenlager Holzen und auf Todesmärschen

Todesmärsche

Anfang April 1945 hatten die alliierten Truppen weite Teile Deutschlands unter ihre Kontrolle gebracht. Bei herannahender Front sollten betroffene Haftanstalten geräumt werden, um die Gefangenen nicht den vorrückenden Alliierten in die Hände fallen zu lassen.

In Hameln, Holzen und Celle wurden Gefangene, darunter viele ausländische, auf mörderische „Trecks“ gezwungen. Nach Berichten von Überlebenden forderten diese „Todesmärsche“ weit über 200 Todesopfer.

Der einschlägigen Literatur folgend ist hier mit „Todesmarsch“ jedweder Todestransport gemeint, auch wenn er (teilweise) mit der Eisenbahn erfolgte.

Insgesamt 52 Tote konnten namentlich ermittelt werden. Bei vier nicht identifizierten Opfern ist überliefert, dass es sich um je zwei ermordete Italiener und Franzosen handelt. 13 weitere Todesopfersollen französischer, belgischer und niederländischer Nationalität gewesen sein – eine genauere Zuordnung ist nicht möglich. Diese Opfer werden voraussichtlich „unbekannte Tote“ bleiben müssen.
 

Der Todesmarsch von Hameln nach Holzen bei Eschershausen

Am 5. April 1945 wurden von der etwa 800köpfigen Belegschaft des Zuchthauses etwa 400 halbverhungerte und zum Teil durch Krankheiten geschwächte Häftlinge – die Hälfte von ihnen Ausländer – zu Fuß in das rund 40 km entfernte Zuchthaus-Außenlager Holzen getrieben.

Auf dem eintägigen Marsch entlang der Westseite des Iths, eines langgestreckten Bergzuges südöstlich Hamelns, kam es zu Erschießungen durch begleitende Justizangehörige und eine SS-Streife. Wie viele Männer ermordet wurden oder aus Entkräftung buchstäblich am Wegesrand starben, wird sich vermutlich nicht mehr klären lassen. Bislang konnten fünf Opfer namentlich identifiziert werden, von fünf weiteren ist die Nationalität bekannt (je zwei Italiener und Franzosen sowie ein Niederländer).

Die US-Truppen, die das Lager am 7. April 1945 befreiten, gingen aufgrund der Aussage eines niederländischen Marschteilnehmers von weit mehr - 41 - Todesopfern aus.

Am Rande der Marschroute, auf den Friedhöfen von Dohnsen und Dielmissen, befinden sich bis heute (Stand 2016) drei Gräber von ausländischen Opfern des Todesmarsches. Andere ausländische Tote wurden in den 1950er Jahren in ihre Heimat umgebettet. Zwei Gräber sind auf dem Holzener „Ehrenfriedhof“ zu finden.
 

Der Todesmarsch von Holzen nach Bützow-Dreibergen in Mecklenburg

Am 3. April 1945 wurden die gesamte Belegschaft des Zuchthaus-Außenlagers Holzen, etwa 400 von Schwerstarbeit entkräftete Männer, darunter zahlreiche Ausländer, auf einen „Treck“ nach Osten gezwungen. Eine mehrtägige quälende Irrfahrt per Bahn, unterbrochen von einem strapaziösen Fußmarsch, führte die Männer auf der Suche nach einem aufnahmebereiten Zuchthaus über Halle, Coswig und Torgau zunächst ins sächsische Bad Liebenwerda. Nach insgesamt elf Tagen erreichte der Marsch sein Ziel im mecklenburgischen Zuchthaus Dreibergen. Laut Aussage eines Teilnehmers haben 228 Männer den Marsch überlebt. Danach könnten etwa 200 Männer entlang der Marschroute oder nach Ankunft im Zuchthaus Dreibergen zu Tode gekommen sein – eingedenk des Hungers und der Strapazen eine nicht unrealistische Annahme.

Bislang ließen sich 24 Opfer namentlich identifizieren, von zwölf weiteren ist die Staatsangehörigkeit bekannt (Niederländer, Belgier, Franzosen). 14 der namentlich bekannten Opfer starben nach ihrer Ankunft in Bützow-Dreibergen, sechs während des Transportes vermutlich zwischen Goslar und Magdeburg und vier während des Zwischenaufenthalts in Bad Liebenwerda. Für letztere wurde 2009 auf dem Friedhof von Bad Liebenwerda eine Gedenktafel errichtet.

Gräber von Opfern dieses Todesmarsches sind nicht bekannt. Unterwegs Umgekommene dürften ebenso anonym begraben worden sein wie die in Dreibergen Gestorbenen. Aufgrund des massenhaften Sterbens im hoffnungslos überfüllten Zuchthaus Dreibergen wurden die Toten im April/Mai 1945 in Massengräbern bestattet.
 

Die Todesmärsche von Celle und Wesendorf-Kümme nach Bützow-Dreibergen in Mecklenburg
als Fortsetzung eines Räumungstransportes aus Hameln

Am 9. April 1945 wurden etwa 500 Gefangene des Zuchthauses Celle, darunter offenbar alle „Politischen“ und viele Ausländer, auf einen Transport in offenen Bahnwaggons mit dem Ziel Zuchthaus Dreibergen gezwungen. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Gefangene aus Hameln, die erst kurz zuvor im Zuchthaus Celle eingetroffen waren. Ein mindestens 150köpfiger Räumungstransport hatte Hameln per Bahn am 27. März 1945 in Richtung Celle verlassen.

Nach einem tagelangen Zwischenaufenthalt in Hannover ohne Versorgung traf ein Teil dieses Transports am 31. März 1945 am Zielort Celle ein.
Drei Männer überlebten die elenden Umstände des tagelangen Eingepferchtseins in Viehwaggons nicht lange – sie starben, nachdem sie in Celle noch die Befreiung erlebt hatten.

Für die aus Hameln kommenden Häftlinge wurde der anschließende Weitertransport nach Dreibergen zusammen mit vielen Celler Häftlingen zur zweiten Etappe ihres Leidensweges. Dieser über Hamburg und Schwerin geführte Todesmarsch dauerte vier Tage, an denen die Teilnehmer gänzlich ohne Verpflegung blieben. Am dritten Tag begann – so ein Zeitzeuge – ein großes Sterben, das sich in Dreibergen bei Bützow fortsetzte.

68 Teilnehmer sollen diesen Transport nicht überlebt haben. Von ihnen ließen sich 17 als ehemalige Gefangene des Zuchthauses Hameln identifizieren. Es ist nicht auszuschließen, dass unter den unterwegs Gestorbenen weitere Gefangene aus dem Zuchthaus Hameln waren.

Wie im Falle des Todesmarsches aus Holzen wurden auch diese Toten in Dreibergen anonym in Massengräbern bestattet.

Der andere Teil des Hamelner Transports vom 27. März 1945 erreichte am 31. März das Außenlager Wesendorf-Krümme des Zuchthauses Celle. Kurz nach Ankunft erlagen zwei Teilnehmer den Strapazen und wurden auf dem Friedhof Wesendorf bestattet. Am 4. April 1945 wurde das Lager geräumt und die Insassen auf einen Fußmarsch in Richtung Dreibergen gezwungen. Ein ehemaliger Gefangener des Zuchthauses Hameln starb in Salzwedel, wo dieser Todesmarsch am 17. April 1945 sein Ende fand, weil US-Truppen die Stadt befreiten. Von weiteren, unbekannt bleibenden Todesopfern ist auszugehen.
 

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