Die Dokumentation der Opfer der NS-Herrschaft
in der Stadt Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont
 

Einführung zu den Opfergruppen
 

Kapitel 3

Die Opfer unter den ausländischen zivilen Zwangsarbeitern sowie den Kriegsgefangenen

Die Opfer unter den Kindern

„Ausweichkrankenhaus“ Nienstedt

Ende 1943 richtete die „Kinderheilanstalt“ Hannover (heute Kinderkrankenhaus „Auf der Bult“) im Landschulheim der hannoverschen Herschelschule in Nienstedt am Deister ein „Ausweichkrankenhaus“ ein, das bis 1951 bestand.

Unter den extremen Bedingungen der späten Kriegs- und frühen Nachkriegszeit überlebten über eintausend der eingewiesenen deutschen und ausländischen Kinder den Aufenthalt nicht. Darunter waren 107 Kinder ausländischer Zwangsarbeiterinnen, die sich auf folgende Staaten verteilen:

Polen:
72
Sowjetunion (Russland, Ukraine, Litauen):
20
Niederlande:
5
Belgien:
4
Frankreich:
4
Italien:
1
Slowakei:
1

 
14 Kinder waren noch in ihren Heimatländern geboren worden, darunter sieben in Polen. 22 kamen in Hannover zur Welt, davon fünf im sog. „Ausländer-Wöchnerinnenheim“ Godshorn. Zehn stammten aus der Region Hannover, acht aus den Landkreisen Schaumburg, Springe und Nienburg. In vielen Fällen fehlen Angaben über die Geburtsorte. Die Wohn- und Arbeitsorte der Mütter lagen überwiegend in Hannover, die meisten in den großen Zwangsarbeiter-Lagern der Stadt, welche die Industrie unterhielt.

Das früheste Todesdatum eines ausländischen Kindes in Nienstedt ist der 8. Oktober 1943. Das letzte Datum dürfte der 31. August 1946 sein. Der Höhepunkt des Sterbens wurde kurz nach Kriegende erreicht, in den Monaten Juli, August und September 1945. Der weit überwiegende Teil der gestorbenen Zwangsarbeiter-Kinder war im Säuglingsalter, d.h. unter einem Jahr alt.

Die Totenscheine verzeichnen oft mehrere Ursachen. Am häufigsten finden sich „Toxischer Magen- und Darmkatarrh“, „Atrophie und Ernährungsstörung“ sowie „Lungenentzündung“ – alles typische Folgen von extremer Unterernährung und Vernachlässigung, wie sie in den Zwangsarbeiterlagern der Industrie an der Tagesordnung waren. Während die Mütter ihrem zwölfstündigen Arbeitstag nachgehen mussten, waren Säuglinge und Kinder in den engen und häufig unbeheizten Baracken sich selbst überlassen.

18 der 107 gestorbenen ausländischen Kinder wurden auf dem „Waldfriedhof“ der „Kinderheilanstalt“ Hannover  in Nienstedt begraben, andere in Hannover auf den Friedhöfen Seelhorst (13), Empelde (8), Ricklingen (4), Mühlenberg (4) und Bothfeld (2). Einzelbestattungen erfolgten auf Friedhöfen in verschiedenen Dörfern. In zwölf Fällen ist der Ort der Bestattung unbekannt.

Der Nienstedter „Waldfriedhof“ wurde 1966 auf Drängen der Gemeinde Nienstedt eingeebnet. Bald erinnerte nichts mehr an die gestorbenen Kinder. Die Inschrift eines 2001 gesetzten Gedenksteins verschweigt die Tatsache, dass hier auch ausländische Kinder bestattet wurden.

Gräber von Nienstedter Kindern sind offenbar nur noch auf dem hannoverschen Stadtfriedhof Seelhorst erhalten. Von den 13 ausländischen Kindern, die 1944 und 1945 von Nienstedt nach Seelhorst überführt worden sind, lassen sich anhand der Gräberliste heute noch neun Gräber nachweisen.

 

Ergänzung Januar 2016:
Auf Initiative und auf Grundlage der Forschung Bernhard Gelderbloms (Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln) wurde das Gelände des ehemalige „Waldfriedhofs“ inzwischen als Kriegsgräberstätte anerkannt und 2015 in Kooperation mit dem zuständigen Forstamt, der Samtgemeinde Rodenberg, dem Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Leibnizschule Hannover, dem heutigen Träger des Landschulheims, als Friedhof und als Erinnerungsort angemessen gestaltet:

Das Gräberfeld selbst ist als rechteckige Rasenfläche kenntlich gemacht, die mit einem Holzzaun eingefriedet ist.

Vor dem Zugang wurden eine Plastik, gefertigt nach dem Entwurf einer Leibniz-Schülerin, und drei Stelen mit den Namen der 18 ausländischen Kinder aufgestellt. Die Namen der hier begrabenen deutschen Kinder sind nicht bekannt.
Eine Informationstafel erläutert den historischen Hintergrund.


 

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