Kalenderblatt - Rattenfängerrelief

9. September 1960 -

Einweihung des Rattenfängerreliefs

Am Nachmittag des 9. September 1960, einem Freitag, versammelten sich zahlreiche Hamelner Bürger und Würdenträger an einem ungewöhnlichen Ort. Rednerpult und Bestuhlung waren an der Aulawand der neuen „Berufs- und Berufsfachschule für Frauenberufe“ am Münsterwall aufgebaut, in unmittelbarer Nähe der für damalige Verhältnisse stark befahrenen Straße. Für den musikalischen Rahmen sorgte das stadtbekannte Blum-Quartett, das klassische Stücke zu Gehör brachte. Anlass der Veranstaltung war die Einweihung des neusten Werks eines Künstlers, der sich Walther Ihle nannte. Schon die Größe des Werks ist beeindruckend. Es überspannte die gesamte Stirnwand der Aula und kann mit etwa 12 Metern Breite damals wie heute als das umfangreichste öffentliche Kunstwerk der Stadt gelten. Mit über 50 Figuren stellt es die Rattenfängersage in einer ungewöhnlich mutigen künstlerischen Deutung dar, indem es einen Bogen von deren mittelalterlichen Ursprüngen zur bedrückenden Gegenwart schlägt. Der Jugend der Stadt, die 1284 einem Werber zur Kolonialisierung osteuropäischer Gebiete folgt, sind die Vertriebenen von 1945 gegenüber gestellt, die, aus dem Osten kommend, wieder in die Mauern Hamelns einziehen. Festredner der Einweihung war der ehemalige Oberbürgermeister Dr. Janssen, der die künstlerische Qualität des Werks hervorhob und seine besondere Thematik mit dem Standort der Aula an der nach Osten führenden alten Salzstraße in Verbindung brachte.[1]

 
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Der Errichtung des Reliefs war ein längerer Findungsprozess vorausgegangen. Stadtbaurat Dr. Schrader hatte zunächst eine nüchterne Werksteinverkleidung der westlichen Aulawand vorgesehen. Er wollte damit eine ästhetische Annäherung der neuen Gebäude an die Münsterkirche erreichen. Dem stand die besondere Eignung der Fläche für „Kunst am Bau“ entgegen. Die Vorschläge aus einem eingeschränkten Wettbewerb, zu dem im Sommer 1956 ausschließlich regionale Künstler eingeladen worden waren, überzeugten das im November des Jahres einberufene Preisrichterkollegium nicht. Unter Vorsitz des Landeskonservators Prof. Karpa empfahl es dem Rat der Stadt, „durch Einholung noch anderer Entwürfe die in der Aufgabe liegenden Möglichkeiten weitergehend auszuschöpfen“.[2]

Dass schon bald darauf eine Auftragserteilung erfolgte, geht offenbar auf das Betreiben des kunstsinnigen Dr. Janssen zurück. Er brachte den Erfurter Bildhauer Hans Walther (geb. 1888) ins Gespräch, der das Werk unter dem Pseudonym Walther Ihle ausführte. Hans Walther war in Hameln kein Unbekannter. Er hatte bereits 1924 den städtischen Wettbewerb zur Gestaltung eines Kriegerehrenmals gewonnen, zu dessen Realisierung es allerdings aufgrund der schlechten Wirtschaftslage nie kam. Im Stadtsaal (in der ehemaligen Garnisonskirche) und im Treppenhaus des Hochzeitshauses waren jedoch in den Jahren 1927 und 1932 wertvolle künstlerische Arbeiten von ihm aufgestellt worden.

Mit diesen Werken hatte sich Walther so nachhaltig empfohlen, dass man sich ein Vierteljahrhundert später, im Frühjahr 1957, erneut an ihn wandte. Für den Künstler bedeutete die Anfrage einen seltenen Glücksfall, denn er war aus kulturpolitischen Gründen sowohl im Nationalsozialismus als auch später – in der DDR – weitgehend isoliert. Walther kam deshalb gerne nach Hameln und beschäftigte sich intensiv mit seiner Aufgabe. Viele Monate lang war er damit beschäftigt, das Relief vom Entwurf bis zum Guss der einzelnen Elemente aus Eisenschmelzton auszuführen.

 
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Gesehen hat er das vollendete und an der Aulafassade installierte Werk allerdings nur noch auf Fotografien. Vor der Einweihung verschlechterte sich sein Gesundheitszustand und er musste in Erfurt bleiben, wo er im November 1961 verstarb. Sein Sohn Michael wusste, was dieser Auftrag für Hans Walther bedeutet hatte. Nach dessen Tod bedankte er sich noch einmal schriftlich beim Oberstadtdirektor, dass sein Vater in Hameln „mit dem Rattenfänger-Relief noch eine große, der Öffentlichkeit zugängliche Arbeit“ schaffen konnte.[3]
 

 
Autor: Dr. Martin Hellmold

 

Umfassende Informationen zu Hans Walther und seinen Hamelner Werken vermittelt ein Vortrag von Dr. Martin Hellmold am 22. März 2011 im Kunstkreis Hameln.

 


[1] „Feierstunde unter der Aulawand“, Deister- und Weserzeitung, Sonnabend, 10. September 1960.

[2] Sitzungsprotokoll vom 23. 11 1956, S. 3, Stadtarchiv Hameln, Quellensammlung Best. 41, 1, Nr. 3105.

[3] Brief von Michael Walther vom 3.12.1961, Stadtarchiv Hameln, Quellensammlung Best. 41, 1, Nr. 3105.

 
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