Kalenderblatt - Kiepehof

1971  -

Abriss des Kiepehofs

J ustus von Kiepe (1588-1664) wurde 1588 in Hameln geboren und arbeitete als junger Mann als Jurist in Hameln und Stadthagen. 1627 erhielt er einen Ruf an den herzoglichen Hof nach Wolfenbüttel. Kaiser Ferdinand III erhob ihn 1638 wegen seiner Verdienste als Diplomat in den Reichsadelsstand. 1641 stieg Justus von Kiepe zum Kanzler des Fürstentums Calenberg in Hannover auf. Im Alter von 73 Jahren (1661) zog er sich aus allen Ämtern zurück und verbrachte die letzten Jahre in Hameln. Er lebte noch bis 1664 und wurde im Hamelner Münster beigesetzt.

1646 erbaute Justus von Kiepe auf einem großen unmittelbar an die Stadtmauer grenzenden Grundstück ein Haus, das in Größe und Gestaltung seinem hohen Rang entsprach. Die Fassade beeindruckte durch zahlreiche große Fenster, das Innere durch hohe Geschosse. Am Vorbild ländlicher Adelsbauten orientiert wies der repräsentative Bau zum Wall hin einen großen Garten auf.

Der Kiepehof blieb auch nach dem Tod seines Erbauers lange das vornehmste Wohnhaus der Stadt. Im Siebenjährigen Kriege logierte hier der französische Gouverneur Duc de Souvré. Auch den Herzog Ferdinand von Braunschweig brachte die Stadt 1760 im Kiepehof unter.

 
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Über 150 Jahre blieb das Haus im Familienbesitz. Nach 1825 gelangte es in den Besitz des jüdischen Getreidehändlers Wolf Silberschmidt, der es als Kornmagazin nutzte. Um die Kapazität als Speicher zu erhöhen, wandelte er die beiden hohen Wohngeschosse zu drei niedrigeren Geschossen um. Die großflächigen Fenster ließ er zumauern und brach stattdessen zahlreiche kleine Lüftungsöffnungen in die Fassade. Den hohen Speicherboden des Dachraums durchlüftete eine durchgehende Schleppluke. Nicht nur innen, sondern auch nach außen war das Haus seitdem grob verschandelt.

Nachdem der Kiepehof als Kornspeicher ausgedient hatte, kam er noch im 19. Jahrhundert in den Besitz der Stadt, welche die Räume als Lager verwendete.

Als sich in den 1940er Jahren das Gebäude der benachbarten Feuerwache als zu klein erwies, überlegte die Stadtverwaltung, den Kiepehof als Wagenschuppen zu nutzen. Hamelns Stadtbaurat Schäfer und die obere Denkmalschutzbehörde legten Einspruch ein betonten dagegen „den ausserordentlich hohen architektonischen Wert“ des Gebäudes.

Der Krieg vereitelte Pläne zu einer Restaurierung. 1947 erneuerte Baurat Schäfer seinen Vorschlag, das Gebäude zu restaurieren und einen repräsentativen Saal für Ratssitzungen und kulturelle Zwecke einzurichten. Sein Vorschlag kam jedoch nicht zum Zuge. Stattdessen zog ins erste Obergeschoss eine Fachgroßhandlung für Elektro- und Rundfunkbedarf ein, während die Feuerwehr das Erdgeschoss nutzte.

Am 16. März 1964 beschloss der Rat den Abbruch des Kiepehofes. Für den derzeitigen Stadtbaurat Dr. Schrader war das Gebäude „nicht mehr brauchbar“ und hatte längst sein ursprüngliches Gesicht als städtischer Adelshof verloren. Dabei war das Mauerwerk trotz der zahlreichen Eingriffe nach Aussage von Fachleuten tragfähig geblieben.

Nachdem im November 1970 die Stadt die finanziellen Mittel für den Abriss zur Verfügung stellte, flammten Proteste in der Bürgerschaft auf. Am 24. Dezember 1970 erschien in der Dewezet ein offener, mit zahlreichen Unterschriften versehener Brief Hamelner Bürger.

„Wie ideal könnte man den Kiepehof in Verbindung mit dem ‚Alten Markt‘ zu einem städtischen Zentrum machen!“ Für die Feuerwehr müsse auf Dauer ohnehin ein neuer Standort gefunden werden. Jetzt solle man nicht weiter in ein Provisorium investieren und dafür den Kiepehof opfern.

Am 8. Mai 1971 – der Abriss war in vollem Gange – erschien in der Dewezet ein „Nachruf“, der aus heutiger Sicht prophetisch klingt.

„Wir sind im Kampf um Deine Existenz unterlegen. … Du hättest Zentrum für Deinen Stadtteil werden können. Wieviel Geld werden unsere Kinder dafür zahlen, daß Du heute durch einen bedauernswerten Ideenmangel abgerissen wirst und einem Provisorium für die Feuerwehr weichen mußt, anstatt ein dringend benötigter Anfang der Sanierung zu sein. … Für die Feuerwehr warst Du untauglich, deshalb mußtest Du sterben. Dein Nachfolger wird eine Baracke sein. Ist das das Vorbild kommender Altstadtsanierung? … Heute trauern einige um Dich – morgen werden viele Deinen Abriß bedauern.“

Der Kiepehof, ein für Hameln kulturell und baugeschichtlich außerordentlich bedeutsames Bauwerk, wich einer architektonisch dürftigen Fahrzeughalle. Nachdem 2007 die Feuerwehr die neue Wache in der Ruthenstraße bezogen hatte, blieb das Gelände ungenutzt. Im Laufe des Jahres 2011 will die HWG im Bereich des ehemaligen Kiepehofes mit den Baumaßnahmen für das „Quartier alte Feuerwache“ beginnen.

Vierzig Jahre (1971-2011), die seit dem Abriss vergangen sind, haben genügt, den Kiepehof in der Bürgerschaft vergessen zu machen. Während der Kiepehof 325 Jahre an seinem Platze stand, erreichte der Fahrzeugschuppen der Feuerwehr, dem er weichen musste, gerade einmal ein Alter von 40 Jahren.

Autor: Bernhard Gelderblom

 
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